UmweltNachrichten Heft 2/2003 | zur Liste | home | ||||||
Dioxin ein Teufelszeug in Krieg und Frieden |
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Wie immer, wenn Giftskandale in die Presse geraten, ist das nur die Spitze des Eisbergs. Auch in diesem Jahr ist wieder ein alt bekannter in Erinnerung gerufen worden: Dioxin. Über viele Dekaden und an vielen Orten taucht es immer wieder wie ein Schreckensgespenst auf: Im Frühjahr 1999 in Belgien, im Jahre 1984 in Hamburg, 1976 in der norditalienischen Kleinstadt Seveso oder 1953 in Ludwigshafen. Dem hingegen wurden die militärischen Sprühaktionen in den 60er Jahren über Vietnam kaum beachtet. Aber die Vergangenheit holt uns immer wieder ein, vor allem dann, wenn es um die so genannten POP's, also die langlebigen Umweltgifte, geht (siehe PIC und POPs). Am 12. Februar dieses Jahres berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung von dioxinverseuchten Futtermitteln aus einem Trockenwerk in Thüringen, mit denen Mastvieh in mehreren Bundesländern gefüttert wurde. Die Untersuchung von Stichproben brachte Mitte Januar die Dioxinverseuchung an den Tag. Letztlich wurden über 2000 Tonnen von diesem belasteten Futter, das aus Brotresten, Zwieback und Rübenschnitzel bestand, ausgeliefert. Ganze 260 Betriebe wurden gesperrt und alleine im Kreis Weimarer Land fielen der Futterverseuchung 3000 Schweine zum Opfer, die getötet und anschließend verbrannt werden mussten. Woher das Dioxin kam ist nicht eindeutig geklärt. Waren es Backzusätze, wie beispielsweise Stabilisatoren, oder der Rauch eines defekten Trocknungsofens, der mit Holzschnitzelbefeuert wurde, die mit Holzschutzmitteln belastet waren? Jedenfalls wurde ein Giftfass geöffnet, und wie das immer so ist, wenn man in einem Fass fündig wird, werden auch andere aufgemacht. Zum Beispiel in einem Futtermittelwerk im Kreis Potsdam-Mittelmark, das rund 1000 Tonnen mit Dioxin belastetes Futter an 81 Betriebe in Brandenburg lieferte. Dieses Fass wurde im April bei Routineprüfungen auf einem Hof im selben Landkreis geöffnet, wobei die Quelle des Dioxins bisher nur erahnt werden kann. Eine weitere Mitteilung, die ebenfalls im April in der Tagespresse notiert war, galt einer neuen Auswertung der US-amerikanischen Militärarchive. Daraus ging hervor, dass die US-Militärs beinahe doppelt soviel Agent Orange in den Jahren 1961 bis 1971 über Vietnam auf Wald und Reisfeld versprühten, wie bislang angenommen. Zudem offenbarten die Flugrouten, dass der Herbizidregen auch auf mehrere tausend Dörfer, mit mehreren Millionen Menschen niederging. Warum dieser sorgenvolle Respekt vor Dioxin? Ein Störfall im Jahre 1953 in einer Chemischen Fabrik in Ludwigshafen hatte über 50 Verletzte zur Folge. Viele davon verstarben wegen bösartiger Tumore. Untersuchungen nach 30 Jahren zeigten, dass alle Überlebenden an Chlorakne erkrankt waren. Chlorakne zeigt sich äußerlich als eitrige Geschwüre, die monate- bis jahrelang nicht ausheilen, und ist typisch für Dioxin. Im Jahre 1976 war eine Häufung von Leberkrebs unter jenen Vietnamesen beobachtet worden, die in den mit Agent Orange besprühten Gebieten lebten. Eine Generation später offenbarte sich, dass Nachfahren der von den Sprühaktionen betroffenen Vietnamesen und US-Veteranen entweder tot geboren wurden oder verstümmelt sind.
Heute wissen wir, dass Dioxin das wohl stärkste Gift ist, das bisher durch Menschenhand hergestellt wurde. Dieses höchst wirksame Gift kam aber niemals als Handelsprodukt auf den Markt. Die Dioxinbelastung unserer Umwelt haben wir der chlororganischen Chemikalienproduktion zu verdanken. Einerseits fällt es als unerwünschte Verunreinigung in vielen Handelsprodukten an und andererseits bei der Müllverbrennung, über die auch chlororganische Produkte entsorgt werden. Der Natur sind solche chlororganischen Verbindungen absolut fremd. Wegen seiner hohen Stabilität und damit Langlebigkeit ist Dioxin, seit der großtechnischen Herstellung von Chlororganika, überall in Spuren zu finden auch in Lebensmitteln. Obwohl die Dioxinbelastung der Lebensmittel seit 1991 halbiert werden konnte, wurden zwischen 1990 und 1996 in Deutschland etwa 3500 Dioxinerkrankungen registriert. Die tägliche Dioxinaufnahme eines Erwachsenen deutschen Bundesbürgers lag im Zeitraum zwischen den Jahren 1996 und 1998 bei 0,7 Pikogramm pro kg Körpergewicht (zu Anfang der 1990er Jahre waren es noch etwa 1,2 Pikogramm). Das ist etwas weniger als der deutsche Grenzwert zulässt, aber deutlich mehr im Vergleich zur US-amerikanischen Toleranzschwelle. Dioxin sammelt sich im menschlichen Fettgewebe an. Darum ist jeder Dioxineintrag in die Lebensmittelkette ein Skandal, weil sehr hohe Dioxinkonzentrationen angesammelt werden können. Wenn davon zuviel in den Blutkreislauf gelangt, kann das einer akuten Vergiftung gleich kommen. Wie erwähnt ist Dioxin kein Handelsprodukt. Es ist folglich anzunehmen, dass andere chlorhaltige Chemikalien die Nahrungskette in wesentlich größeren Mengen belasten. Nach den 1998er und 1999er Skandalen um Dioxin in Fleisch, Eiern und Milch erwies sich die Konzentration der polychlorierten Biphenyle (PCB) um etwa 50 000 mal höher als die von Dioxin. Weltweit ist die Produktion von Dioxin geächtet, also verboten (POP-Liste). Warum die Produktion des Herbizids 2,4,5-T nicht verboten ist, wundert ein bisschen, da dieses Unkrautvernichtungsmittel immer von Dioxin begleitet wird. Heinz Wohlgemuth
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Die Redaktion Umwelt, am 16. Juni 2003 ugii Homepages |