Umweltpanorama Heft 9 (August 2005) zur Liste | home

Forschen ohne Tiere

Zellkulturen zur Erforschung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen

Obwohl das Erscheinungsbild der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) mitsamt ihrer biochemischen Ausprägung gut untersucht ist und in vielen Teilen geklärt scheint, liegt die Ursache dieser Krankheit nach wie vor im Dunklen. Es besteht noch viel Forschungsbedarf – einerseits zur Erforschung der grundlegenden physiologischen Wechselwirkungen und andererseits für die Entwicklung von maßgeschneiderten Medikamenten. Für beide Zielsetzungen wird traditionell eine große Anzahl von Versuchstieren eingesetzt.

Eine gegenwärtig übliche Methode in der medizinisch-biologischen Forschung ist das so genannte „gene targeting“. Dafür werden Tiere, zumeist Mäuse, erzeugt, bei denen bestimmte Gene verändert sind oder ganz fehlen. In der Folge wird bei diesen so genannten „knock-out“ Mäusen die zu erforschende Erkrankung ausgelöst, weil sie nicht mehr fähig sind, bestimmte körpereigene Entzündungshemmer wie beispielsweise spezielle Zytokine (IL-2, IL-10) zu produzieren 1). In den Tiere wird sozusagen die Erkrankung simuliert und sie werden damit Modellobjekte der pharmazeutischen Grundlagenforschung. Eine andere Herangehensweise ist, in „normalen“ Versuchstieren, das sind in der Regel Mäuse und Ratten, aber auch Kaninchen, Schweine oder sogar Affen, die Erkrankung vermittels bestimmter Chemikalien hervorzurufen. Diese Chemikalien verursachen einerseits Entzündungen in der Darmschleimhaut und blockieren zudem bestimmte körpereigene Regelmechanismen, die zum Abklingen der Entzündungen führen würden.

Die auf diese Weise bei den Versuchstieren verursachten, vermutlich sehr schmerzhaften Darmentzündungen stehen aus naheliegenden ethischen Gründen in Verruf, zumal diese in vivo Modelle das pathologische Erscheinungsbild der menschlichen CED nur in beschränktem Umfange widerspiegeln. Immer wieder kommt daher die Frage auf, ob der Tierversuch überhaupt auf den Menschen übertragbar ist. 2).

Seit vielen Jahren wird diskutiert, ob nicht in vitro Modelle einen größeren Bezug als das in vivo Modell zu den Vorgängen im menschlichen Organismus haben. Denn in vitro Modelle eröffnen die Möglichkeit, sich menschlichen Gewebes zu bedienen, das bei Routineuntersuchungen, zum Beispiel einer Darmspiegelung, den CED-Patienten ohnehin entnommen wird (Biopsie).

Natürlich ersetzen isolierte Gewebeteile oder einzelne Zellen nicht ein ganzes Organ, geschweige denn den gesamten Organismus, doch lassen sich Stück für Stück, wie in der Wissenschaft üblich, die Erkenntnisse zahlreicher Untersuchungen zu einem Gesamtbild zusammentragen. Insbesondere ist es mit einem in vitro Modell möglich, einzelne Vorgänge im Detail zu untersuchen, was in vivo experimentell schwer durchführbar sein kann.

Zellen aus Biopsiematerial

Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen lässt sich der Beginn wie auch das Chronischwerden der Entzündungsreaktion des Verdauungstraktes weitgehend aus einem Ungleichgewichten zwischen pro- und kontra-entzündlichen körpereigenen Botenstoffen erklären. Für Untersuchungen solcher Art, das heißt auf molekularer und zellulärer Ebene, eignen sich besonders Modelle, die ein Organfragment darstellen.

Beispielsweise kann das Studium des wechselseitigen Zusammenspiels von Zellen des Immunsystems mit den Zellen der Darmschleimhaut von Bedeutung sein. Hierzu werden zwei Zellarten, das heißt Epithelzellen des Darms und bestimmte weiße Blutkörperchen isoliert und in so genannter Ko-Kultur gehalten. Damit kann der Informationsaustausch der Zellen untereinander, etwa ob eine starke Vermehrung immunkompetenter Darmzellen notwendig ist oder die Bildung von so genannten Adhäsionsmolekülen, die bestimmen, an welchem Ort des Gewebes die immunkompetenten Zellen in einen Abwehrprozess eingreifen sollen, untersucht werden. Dazu wird in regelmäßigen Abständen die mengenmäßige Entwicklung der Botenstoffe in der Zellkultur untersucht. Die Zunahme und Abnahme der pro- und kontra-entzündlichen Botenstoffe, beispielsweise die Zytokine IL-1 einerseits und IL-10 andererseits, verraten dem Wissenschaftler funktionelle Aspekte des Entzündungsgeschehens.

Für CED ist ein Andauern der entzündlichen Gewebszerstörung charakteristisch. Ein anderes Modell besteht daher aus der Darmschleimhaut selbst, denn die normale Darmschleimhaut (intestinale Mukosa) hat die Fähigkeit, größere Schadstellen (Läsionen) vollständig zu erneuern. Entscheidend für die mechanische Integrität der Darmschleimhaut ist eine kontinuierliche, intakte Epithelzellschicht, die ein ungeregeltes Eindringen einer Vielzahl von bakteriellen Erregern verhindert. Denkt man sich die Darmschleimhaut in seine drei Bestandteile (Kompartimente) zerlegt, die „Hautzellen“ der Darminnenseite (Epithel), das Bindegewebe (lamina propria) und die Zellschicht, die in Kontakt mit der Blutbahn steht (Endothel), lassen sich Ko-Kulturen in verschiedenen Anordnungen benutzen, anhand derer der Ortswechsel der Botenstoffe oder Adhäsionsmoleküle verfolgt werden kann. Dazu werden die Ko-Kulturen entweder im Einkammersystem mit fließenden Kompartimentgrenzen oder in einem Zweikammersystem mit einer Trennmembran, durch die nur molekulare Teilchen wandern können, angelegt. Auf diese Weise konnte gezeigt werden, dass neutrophile Zellen des Blutes bis ins Epithel auswandern und dort zu den für CED typischen Gewebeveränderungen beitragen.

Neuerdings wird der zelluläre Austausch zwischen Epithel- und Endothelzellen der Darmschleimhaut im in vitro Experiment anhand von Zellen, die aus der Nabelschnur stammen, studiert. Dieses Modellsystem hat den Vorteil, dass die Nabelschnur und damit auch deren Epithel- und Endothelzellen in ausreichender Menge zu Verfügung steht, was bei Biopsiematerial nicht immer gewährleistet ist.

Ein anderes Zellkultursystem dient dazu, um der Bildung von Strikturen, ein bei Morbus Crohn charakteristischem Effekt, nachzugehen. Unter Striktur versteht man eine Verengung des Darms an einer bestimmten Stelle. Für das in vitro Modell werden aus Biopsiematerial so genannten Fibroblasten, Zellen des Bindegewebes, isoliert und kultiviert, diesen kommt bei der Wundheilung allgemein eine wichtige Funktion zu. Fibroblasten, so konnte gezeigt werden, spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Striktur. Darüber hinaus konnte auch gezeigt werden, das die Zellveränderung, die in vitro zur Strikturbildung führt, mit Cortison heilbar war.

Humane Zelllinien

Ein weiterer Ansatz, der sich insbesondere für die pharmakologische Forschung eignet, ist die Kultivierung menschlicher Zelllinien. Zelllinien sind nicht alternde, entartete Zellen wie sie bei Krebserkrankungen vorkommen. Diese Zellen können sich immer wieder teilen und aus diesem Grunde beliebig lange kultiviert werden. Sie sind daher für systematische Forschungen geeignet. Diese Zelllinien besitzen ebenfalls weitgehend die für den Menschen typischen Eigenschaften, sowohl im Hinblick auf den Abbau eindringender Fremdstoffe als auch in Bezug auf die Produktion von Botenstoffen. Zelllinien, wie diejenigen des Typs SVEC-10 oder HAT-29, werden in der Regel auf so genannten Mikrotiterplatten gezüchtet, die etwa 100 Einzelkulturen beherbergen können. Die Zugabe bestimmter Substanzen, die Entnahme der Kultur und deren Analyse kann automatisiert werden und ist deshalb für Reihenuntersuchungen gut geeignet. Dadurch können Medikamente frühzeitig an den Zellen erprobt werden, auf die sie später wirken sollen.

Fazit

Ein in vitro Modell repräsentiert nur einen Teil des funktionalen Gewebes. Unbekannte Faktoren, die in die Regelmechanismen des intakten Organismus eingreifen, können nicht untersucht werden. Dennoch beschreibt das mit menschlichen Zellen angelegte in vitro Modell den intra- und interzellulären Regelapparat bei CED-Patienten mitunter besser als das in vivo Tiermodell und oft korrelieren die experimentellen Daten aus Untersuchungen menschlicher Zellen und Gewebe direkt mit den klinischen Beobachtungen.


Dr. Rainer Box
ZEBET, Berlin


Anmerkungen
Eine Zusammenfassung von in vitro Studien zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen kann von der im Internet öffentlich zugängliche Datenbank AnimAlt-Zebet heruntergeladen werden, die über die Seiten (http://www.bfr.bund.de/ oder http://www.dimdi.de/) zugänglich ist. Die Datenbank-Dokumente sind in amerikanischem Englisch verfasst; als Suchwort eignet sich daher „inflammatory bowel disease“. In vitro Modelle als Alternativen zu genmanipulierten Mäusen können unter dem Stichwort „gene targeting“ gefunden werde. Die Dokumente werden von der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ergänzungs- und Ersatzmethoden zum Tierversuch (ZEBET) im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) veröffentlicht.

1) Siehe dazu unseren Beitrag zur „knock-out Maus“ in Heft 2003/1

2) Siehe dazu unseren Beitrag zum „biologischem Schicksal von Chemikalien“ in Heft 3 (2004)

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     Die Redaktion Umwelt, am 15. August 2005 – ugii Homepages –