UmweltNachrichten Heft 1/2003 zur Liste | home

Die „knock out“ Maus

Vom Umgang mit transgenen Tieren

In kurzer Zeit hat es der Mensch erreicht, auf fast allen Wissensgebieten – sei es in der Technologie oder der biologischen und medizinischen Forschung – enorme Fortschritte zu machen. Seit etwa zwei Jahrzehnten ist es möglich, gezielt Tiere mit genetisch artfremden – transgenen – Eigenschaften zu versehen, und vor sieben Jahren gelang es erstmals, ein Tier zu klonen, d.h. einen Nachkommen mit den gleichen Eigenschaften wie das Muttertier zu erzeugen. Was diese Manipulationen für die betroffenen Tiere bedeuten, soll hier kurz am Beispiel einer extremen Form der transgenen Tiere, der sogenannten „knock out“ Maus, erläutert werden.

Will man die Funktion eines Gens untersuchen, so bestehen mehrere Möglichkeiten der Herangehensweise. Eine davon ist, das Ablesen und die Übertragung der in der DNS enthaltenen Erbinformation, die die Struktur eines bestimmten Proteins festlegt, zu unterbinden oder abzuschalten. Die in der Folge beobachteten Veränderungen lassen dann auf die Funktion des Gens schließen. Zur Inaktivierung eines Gens wird gezielt eine Mutation in das Genom eingeführt. Dies ist zunächst erfolgreich an Hefe und Bakterien versucht worden und später auch bei der Maus gelungen. Dazu wird entweder einzelnen isolierten embryonalen Stammzellen oder befruchteten Eizellen der Maus mit Hilfe mikroskopisch kleiner Kanülen fremde oder künstlich veränderte DNS injiziert. Die so behandelten Zellen werden Empfängertieren eingepflanzt, in denen die Embryos heranwachsen. Die Verwendung von Stammzellen hat den Vorteil, dass schon vor dem Einpflanzen überprüft werden kann, ob die injizierte DNS die geeignete Stelle im Genom erreicht hat, um das ausgewählte Gen auszuschalten. In der Wissenschaft bezeichnet man das Ausschalten eines Gens mit dem englischen Wort „knock out“, das – zu „k.o.“ abgekürzt – auch im Boxsport üblich ist.

Die ZEBET ist im Rahmen des Vollzuges des Tierschutzgesetzes für die zuständigen Behörden der Bundesländer als Auskunftsstelle für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen tätig.

Von maßgeblicher Bedeutung sowohl für die ZEBET als auch für ECVAM ist die EU-Richtlinie 86/609/EWG zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. Grundsätzlich wird hier im § 7 Absatz 2 bestimmt: „Bei der Entscheidung, ob Tierversuche unerlässlich sind, ist insbesondere der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zulegen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann“. Dies wird oft mit dem Kürzel „3R“ bezeichnet, das für „replace, reduce, refine“ steht und übersetzt „verzichten, vermindern, verfeinern“ heißt. Gemeint ist damit, dass durch die Anwendung eines alternativen Modells (z.B. einer Zellkultur) auf den Tierversuch verzichtet („replace“) werden kann, die Anzahl der Versuchstiere vermindert („reduce“) wird oder die Art und Weise des Tierversuchs zur Linderung des Leidens und der Schmerzen der Versuchstiere führt („refine“).

Die Mitteilungen der ECVAM sind im Internet unter
http://ecvam.jrc.it/index.htm und
http://altweb.jhsph.edu/publications/ECVAM/ecvam-reports.htm
abrufbar. Die Dokumente der Datenbank AnimAlt-ZEBET sind im Internet über die Adressen
http://www.bfr.bund.de oder
http://www.dimdi.de
zugänglich. Die Mitteilungen und Dokumente sind in englischer Sprache verfasst und rein wissenschaftlich orientiert. Wer sich einen Einstieg über Labortiere und Tierversuche mit allgemeinverständlicheren Worten verschaffen will, dem stehen im Internet weitere Adressen zur Verfügung.

Geht alles nach Plan, wachsen die Embryos heran, ohne ein bestimmtes Genprodukt bilden zu können. Es sind aber erst die fernen Nachkommen dieser Tiere, die man als echte „knock out“ Mäuse für ein bestimmtes Gen bezeichnet, da sich nach den Mendelschen Vererbungsregeln nur bei einem Viertel der ersten Tochtergeneration der eingebaute genetische Fehler vollständig ausprägt. Ist das betreffende Gen jedoch lebenswichtig, sterben die Embryos vorzeitig ab oder die Jungtiere gehen ein bevor sie geschlechtsreif sind. Auch wenn die Tiere sich fortpflanzen muss stets eine Analyse der DNS durchgeführt werden und die Veränderung des Gens mit molekularbiologischen Methoden an Gewebeproben bestätigt werden. Dazu entnimmt man den Tieren entweder einen kleinen Teil eines inneren Organs oder man schneidet ihnen etwa zwei Zentimeter des Schwanzes ab. In der Regel müssen mehrere hundert Tiere auf diese Weise untersucht werden, bevor man sicher sein kann, dass man einen genetisch veränderten und lebensfähigen Mäusestamm erzeugt hat. So dauert es oft ein Jahr bis die „knock out“ Maus zur Erforschung von Krankheitsursachen und Arzneimittelwirkung dienen kann.

In den letzten Jahren ist durch den Einsatz der genomverändernden Techniken der Gebrauch bzw. Verbrauch von Laboratoriumstieren erheblich gestiegen. Dieser Trend beunruhigt nicht nur die tierfreundliche Öffentlichkeit, sondern auch die offiziellen Tierschutzinstitutionen. Die Europäische Kommission hat für derartige Fragen das Europäische Zentrum zur Validierung von Alternativmethoden zum Tierversuch (ECVAM) mit Sitz in Ispra, im Norden Italiens, eingerichtet, das Sachverständige aus Forschung, Industrie und Behörden zu Diskussionen einlädt und die Ergebnisse und Empfehlungen dieser Gesprächsrunden in Form von allgemein zugänglichen Berichten veröffentlicht (siehe Kasten). Noch gibt es wichtige Punkte hinsichtlich der „knock out“ Maus und aller anderen genmanipulierten Versuchstieren zu klären. Dazu gehört die Bewertung, ob „transgene Tiere“ als Tiere im Sinne des Artenschutzgesetzes anzusehen sind.

Möglicherweise wird aber aufgrund kürzlich veröffentlichter Ergebnisse aus der Forschung die Erzeugung einer „knock out“ Maus zum Studium der Funktion eines Gens überflüssig. Das gezielte Ausschalten bestimmter Gene wurde nämlich in den vergangenen drei Jahren mit Erfolg an Zellkulturen erprobt. Der Biochemiker Dr. Thomas Tuschl vom Göttinger Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie erhielt im vergangenen Oktober für seine richtungsweisenden Arbeiten zur sogenannten Gen-Interferenz einen mit 25 000 Euro dotierten Forschungspreis. Die Anwendung dieses alternativen „knock out“-Verfahrens in Zellkulturen liefert sehr viel schneller Resultate und für bestimmte Fragen mitunter sogar detailliertere Erkenntnisse als die „knock out“ Maus.

Forschungsergebnisse wie diese werden von der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ergänzungs- und Ersatzmethoden zum Tierversuch (ZEBET) dokumentiert. Die zum Bundesinstitut für Risikobewertung gehörende Institution bietet im Internet die für jedermann frei zugängliche Datenbank AnimAlt-ZEBET an, in der viele wissenschaftliche Methoden, die die für Untersuchungen notwendige Anzahl von Tieren einschränken oder Tierversuche ganz ersetzen, gesammelt und kommentiert werden (siehe Kasten). Im Interesse der Versuchstiere bleibt zu hoffen, dass sich diese Methoden als nützliche und verlässliche Alternativen erweisen und in der Praxis durchsetzen.

Dr. Rainer J. Box
freier Autor
Berlin

 

 

Die Redaktion Umwelt, am 15. März 2003       – ugii Homepages –