UmweltNachrichten Heft 2/2003 zur Liste | home

Trinkwasser

Wenn Berliner in ihre frisch geputzte, weiße Badewanne Wasser einlassen und auf den üblichen Badezusatz verzichten würden, müssten Sie feststellen, dass das Wasser ganz leicht gelblich ist. Da aber alle Berliner auf den Badezusatz nicht verzichten wollen, weiß das keiner. Das ist für Berlin ganz normal. In Kabul (Afghanistan) hingegen, ist Wasser so rar, dass keiner auch nur daran denkt, es als Badewasser zu nutzen oder Hygienekontrollen zu hinterfragen. Das ist für Kabul ganz normal. In Berlin werden von dieser ganz leicht gelblichen Flüssigkeit etwa 125 Liter pro Kopf und Tag verbraucht und in Kabul stehen nur wenige Liter pro Kopf und Tag als Trinkwasser zur Verfügung.

Am 22. März eines jeden Jahres ist der Tag des Trinkwassers und zudem ist das Jahr 2003 ist von den Vereinten Nationen zum Jahr des Süßwassers auserkoren worden. Warum? Süßwasser ist gleich Trinkwasser – ein kostbares Gut, könnte man jetzt sagen; aber ohne Wasser wären wir nicht und ohne Wasser lebten wir nicht. Wasser ist somit nicht kostbar, sondern unabdingbar für die Lebensfunktionen aller irdischen Tier- und Pflanzenarten, genauso wie Luft und Nährstoffe.

Wasser hat nichts mit Wohlstand zu tun und auch nicht mit Armut. Auch wenn für einige Menschen Wasser selbstverständlicher ist als für andere. Das, worauf das internationale Jahr des Süßwassers eigentlich aufmerksam machen soll, sind die 1,7 Milliarden Menschen dieser Erde, für die sauberes Trinkwasser nicht selbstverständlich ist. Und der 22. März erinnert daran, dass drei Liter sauberes Trinkwasser jeden Tag jedem zustehen sollten.

In der Frühzeit des Menschen gab es nur dort Ansiedlungen, wo Wasser verfügbar war. Brunnen und Zisternen sind ein Merkmal für früheste technische Errungenschaften des Menschen, ein Beispiel dafür, wie sich der Mensch von seiner natürlichen Umgebung lösen konnte, die für Tiere nach wie vor durch Bäche oder Flüsse bestimmt ist. Die Anzahl der Menschen in den Ansiedlungen entsprach in etwa dem, wie viel Nahrung und vor allem Trinkwasser vor Ort verfügbar war. Das gilt auch heute noch.

Die mittelalterliche Stadt

Die Bevölkerung Europas kann um das Jahr 1300 auf 73 Millionen Menschen veranschlagt werden. Die großen Städte zählten mit Ausnahme von Paris und Konstantinopel (heute Istanbul) keine 30 000 Einwohner. Auch wenn die Städte nach heutigem Maßstab noch klein waren, erforderte die Urbanisierung neue Wasserversorgungstechniken. Im Gegensatz zur Wasserversorgung durch Fernleitungen nach antikem Vorbild zwangen die potentiellen kriegerischen Auseinandersetzungen den Lebensraum Stadt zur Autonomie, wodurch die mittelalterliche Stadt durch ihre typische räumliche Enge gekennzeichnet ist. Wasser wurde privaten Hausbrunnen oder stadtnahen Flüssen entnommen. Das innerstädtische Leben erforderte eine strikte Organisation und Reglementierung. Dies führte dazu, dass auch die Wasserversorgung allmählich in den Verantwortungsbereich der Ratsobrigkeit überging. Die ersten öffentlich-städtischen Brunnen standen deswegen auf Marktplätzen. Auch die Wartung der Brunnen ging damit in den öffentlichen Dienst über. Der Beruf des Brunnenmeisters ist seit dem 14. Jahrhundert überliefert.

Den Bemühungen der städtischen Verwaltung um eine quantitativ verbesserte Wasserversorgung der Haushalte folgten die Wasserleitungen. Die ersten nachweisbaren Wasserleitungen in Städten, Klöstern und Kirchen gehen auf das 13. Jahrhundert zurück. Beispiele dafür sind Basel und Regensburg. Dieser technischen Errungenschaft folgten in den nächsten zwei Jahrhunderten nahezu alle Städte, wie Zittau im Jahre 1376 oder Breslau, das 1479 mit Wasser aus der Oder über Holzröhrensysteme versorgt wurde.

Die Wasserversorgung ist nur eine Seite, denn die Menge des Wassers, die verbraucht wird, fällt auf der anderen Seite in gleicher Menge wieder als Abwasser an. Schon seit dem 12. Jahrhundert sind sanitäre Einrichtungen in mitteleuropäischen Städten belegt. Abfallgruben, Latrinenschächte, Abzugsrinnen und -gräben dienten der Entsorgung von Abwasser, Fäkalien und anderen Abfällen. Es ist also keineswegs so, dass das „Ausschütten auf die Straße“ die Regel war. Für die Funktionstüchtigkeit der Abwasser- und Abfallanlagen waren Grabenmeister und Grabenfeger zuständig.

Endlagerstätten waren nicht selten ausgediente Brunnen oder stadtnahe Gewässer. Schriftliche Überlieferungen zeugen davon, dass es mitunter Jahre dauerte, bis eine Latrine, also eine Senkgrube als Toilette, gefüllt war, wobei der Inhalt oft als Dünger auf Feldern ausgetragen wurde. Die Menschen, die solche niederen Arbeiten ausführen mussten, wurden in München als Goldgrübler bezeichnet. In Nürnberg waren es die Pappenheimer und in Frankfurt die „heymelichkeit-fegere“. Eine recht gängige Entsorgungsvariante war dennoch die Verklappung der Abfälle in Uferbereichen. Beispielsweise ein lagunenartiger Uferbereich im Bodensee bei Konstanz, der vom 13. Jahrhundert an bis ins 15. Jahrhunderts aufgefüllt wurde, oder ein „dollen“, der den Abort eines Hauses mit dem nahe gelegenen Fluss verband, eine Art früher „Kanalisation“, wie Mitte des 15. Jahrhunderts die Pregnitz von einigen Nürnberger Bürgern so benutzt wurde.

Mit der „Kanalisation“ des Abwassers, Aborts oder Abfalls war ein Grundproblem aber noch lange nicht erkannt, geschweige denn gelöst: Die Verunreinigung des Grundwassers, der Flüsse und Seen, die die tiefer gelegenen Anrainer abbekamen. Aus dem „circulus vitiosus“, also dem von Menschen verursachten Infektionskreislauf „Mensch – Abfall – Wasser – Mensch“, gab es bis zum 19. Jahrhundert kaum einen wirklichen Ausweg, auch wenn schon im Jahre 1543 in Bunzlau, im ehemaligen Schlesien (heute: Boleslawiec), die erste Kläranlage eingerichtet und somit in Teilen das Prinzip der Wasseraufbereitung praktiziert wurde.

Deutschland im 19ten Jahrhundert

Am 1. September 1877 war in Preußen eine Verfügung erlassen worden, die einem Einleitungsverbot für städtische Abwässer in die Flüsse gleichkam. Warum? Das Wachstum der Städte ließ die Versorgung mit sauberen Trinkwasser und die Entsorgung der Abwässer zum Problem werden. Unter diesem Druck begann um die Mitte des 19ten Jahrhunderts die Einrichtung zentraler Wasserversorgungssysteme, die die traditionellen innerstädtischen Brunnen langsam verdrängten. Vorreiter war im Jahre 1848 Hamburg; andere Städte folgten binnen kurzer Zeit, wie Berlin 1852 oder Magdeburg 1858. Parallel dazu wurden auch städtische Kanalisationssysteme gebaut, allen voran wieder Hamburg. Im Jahre 1883 waren in Preußen 27 Prozent aller Stadtbewohner an die Kanalisation angeschlossen und 1907 waren es schon 66,5 Prozent. Heute haben über 90 Prozent der deutschen Haushalte einen Kanalanschluss. Abgesehen von Berlin, das ab dem Jahre 1873 seine Abwässer nach Danziger Vorbild auf Rieselfelder kanalisierte, lag das Ende des Kanals in der Regel an Flüssen. Die Flussverschmutzung im Zusammenhang mit der Verstädterung und der aufkeimenden Industrialisierung wurde zunächst in England wahrgenommen. Im Jahre 1857 führte sie zum „great stink“ der Themse, durch den sich sogar das Parlament gestört fühlte.

Die Ursache der immer wieder auftretenden Epidemien entfachte langjährige Debatten, die vor allem durch kommunalpolitische Interessen verschlendert wurde. Bis in die späten 1890er Jahre wurde die „Trinkwassertheorie“ von Robert Koch bewusst ignoriert, die als Konsequenz den Bau von Abwasserbehandlungsanlagen mit sich ziehen würde; die Ausgaben dafür scheuten viele Städte. Letztendlich verlief der Bau solcher Kläranlagen und damit deren Weiterentwicklung nach wie vor schleppend. Trinkwasser wurde weitgehend aus Talsperren bezogen und die Flüsse damit den Abwässern „Preis“ gegeben. Das Gedankengut zu dieser Einstellung widerspiegelt sich in einer Anekdote aus dem Jahre 1928: Es „... liegt kein Grund vor, beim Rhein Besonderes in der Abwasserreinigung zu tun, denn er ist infolge seiner ungeheueren Wassermassen besonders geeignet, Abwasser aufzunehmen und unschädlich zu verarbeiten.“ (K. Imhoff, Der Ruhrvervand, Essen 1928). Ein ernsthafter politischer Wille zur Bereitstellung von Kläranlagen war erst in den 1970er Jahren beobachtbar. Gegenwärtig sind über 80 Prozent der deutschen Haushalte an Kläranlagen angeschlossen und weil das Oberflächenwasser der Flüsse und Seen dennoch stark belastet ist, werden in Deutschland 70 Prozent des Trinkwasser aus Brunnen gewonnen.

Übrigens

Das Wasser in Berlin ist leicht gelblich, weil es vorwiegend aus Uferfiltrat gewonnen wird. Uferfiltrat ist Wasser aus Flüssen, das vom Flussbett durch die angrenzenden Bodenschichten in nahe am Ufer liegende Brunnen fließt. Die darin gelösten Huminstoffe, die für die leicht gelbliche Färbung verantwortlich sind, können mechanisch und biologisch nicht vollständig abfiltriert werden. Sie bilden den überwiegenden Teil des Humus, sind also natürlich und völlig harmlos. Also können die Berliner ihr Wasser weiterhin unbesorgt trinken, vielleicht sogar sorgloser als ihre Luft atmen.

Heinz Wohlgemuth

 

 

Die Redaktion Umwelt, am 16. Juni 2003       – ugii Homepages –