UmweltNachrichten Heft 2/2003 zur Liste | home

Gegenwart und Zukunft der Sonnenenergienutzung

Als die Redaktion der UmweltNachrichten mich fragte, ob ich zum Thema „Gegenwart und Zukunft der Sonnenenergienutzung“ einen Beitrag schreiben würde, sagte ich spontan zu. Als erstes Stichwort nannte man mir die Frage: Löst die Anwendung der Solarenergie unsere Energieprobleme ? Die Antwort ist kurz und klar: Ja! Bei einem Blick auf Artikel, die sich ausschließlich mit Solarthermie und Photovoltaik befassen, lautet die Antwort ganz klar: Nein! Was nun also? Die Lösung: Ich werde in meinem Beitrag die erneuerbaren Energien insgesamt ins Visier nehmen und noch einige wichtige andere Aspekte, damit die Antwort wieder klar und eindeutig lauten kann: Ja, es geht – und es ist notwendig!

Vorneweg eine fast semantische Bemerkung, die aber wichtig für das Folgende ist: als Solarenergienutzung im weiteren Sinne betrachte ich alle Energieformen, die sich als direkte oder indirekte Wirkung der Solarstrahlung auf die Erdoberfläche ergeben. Daher gehören Wind, Biomasse, Wasserkraft, Wellenenergie ebenso als „Ableger“ der Solarstrahlung dazu wie die Ursprungsform „Solarstrahlung“ – normalerweise sprechen wir dann meist von den erneuerbaren Energien.

Das Potenzial dieser Strahlung ist so gewaltig, dass ca. 15 000 mal soviel Energie auf die Erdoberfläche eingestrahlt wird wie die Menschheit pro Jahr verbraucht. Theoretisch würde also ein Energiesystem mit einem Wirkungsgrad von 1/15000tel Prozent ausreichen, um den Energiebedarf der Menschheit zu stillen – und das bei dem Ausmaß an Energieverschwendung, das wir gegenwärtig betreiben!

Zu diesem Potenzial kommen noch zwei Energieformen hinzu, die wir auch zu den erneuerbaren rechnen: Geothermie (streng genommen nicht erneuerbar) und Gezeitenenergie, die einfach nur etwas mit der Gravitation zu tun hat.

Wieso befassen wir uns überhaupt so intensiv mit den erneuerbaren Energien? In Kurzfassung drei Hauptantworten:

  1. Erdgeschichtlich hat die Menschheit jahrtausendelang nur von erneuerbaren Energien (Sonne, Wasser, Wind, Biomasse) gelebt. Das Kohle- und Öl/Gaszeitalter ist eine verschwindend kurze Periode in der Weltgeschichte und das Ende ist absehbar: Öl und Gas etwa 40 bis 50 Jahre, Kohle noch über 100 Jahre, aber dennoch endlich ...

  2. All diese Energieträger bringen ein Problem mit sich: sie emittieren Kohlendioxid und andere Treibhausgase, die im Begriff sind, unser Klima in tiefgreifender Art und relativ kurzer Zeit zu verändern. Dieser Vorgang hat derart vielschichtige, zum Teil auch dramatische und bedrohliche Konsequenzen für die menschliche Zivilisation, dass aus reinem Selbsterhaltungstrieb das Ausmaß des Klimawandels in Grenzen gehalten bzw. zeitlich gestreckt werden sollte.

  3. Eine mögliche kohlendioxidfreie Option, die Nuklearenergienutzung, fällt nach meiner Überzeugung angesichts des Schadensausmaßes eines einzigen großen Unfalls aus. Angesichts der Tatsache, dass die erneuerbaren Energien eine fehlerfreundliche und ökologisch verträgliche Alternative bieten, lässt sich eine weitere Nutzung der Atomenergie nicht rechtfertigen. Darüber hinaus wäre auch die Nuklearenergie aus Mangel an Brennstoff (Uran) gar nicht in der Lage, länger als ca. 50 Jahre die Energieversorgung zu gewährleisten.

Die einzelnen Nutzungstechnologien Solarthermie (Warmwassererzeugung mit Kollektoren), Photovoltaik (Stromerzeugung mit Solarzellen), Windkraftanlagen, Biomassekraftwerk, Geothermie-Kraftwerk, solarthermisches Kraftwerk (zur Stromerzeugung) oder Wellenkaftwerk einschließlich der Wärmenutzungen sind bereits heute in einer Fülle von technischen Varianten vorhanden, die sich durch Forschung, Entwicklung und (Breiten-)Anwendung in Richtung höherer Wirkungsgrade hin entwickelt haben. Dieser Trend wird anhalten, sofern weiter Forschung, Entwicklung und Markteinführung unterstützt werden. Zu diesem Trend gehört auch eine Reduktion der spezifischen Investitionskosten und damit auch ein langsames Sinken der spezifischen Kosten einer Kilowattstunde. All diese Zusammenhänge sind für einen Zeitraum von ca. 20 bis 30 Jahren relativ gut prognostizierbar. Während die Preise für fossile Energien wegen der nicht mehr steigerbaren Produktion tendenziell teurer werden, werden alle Technologien der erneuerbaren Energien mehr oder weniger schnell billiger. Die internationale Umweltdebatte, die mit den Vereinbarungen zur Klimarahmenkonvention zum ersten Mal Kohlendioxid-Emissionen mit Kosten belegt (wenn auch voraussichtlich zu geringen), wird ebenfalls dazu beitragen fossile Energien zu verteuern. Mit Forschung und Entwicklung verbessert sich auch tendenziell die Ökobilanz erneuerbarer Energien, da in vielen Forschungsvorhaben – insbesondere in der Photovoltaik – dieser Aspekt ein explizites Forschungsziel ist. Die Instrumente, um beispielsweise eine nachhaltig verträgliche Biomasse-Nutzung zu erreichen, sind inzwischen vorhanden und müssen jetzt in der Praxis angewandt werden (Forschungsvorhaben des BMU: Stoffstrommanagment für eine nachhaltige Biomassenutzung).

In so genannten „Energieszenarien“ haben sich eine Reihe von wissenschaftlichen Instituten und Organisationen (World Energy Council, International Energy Agency, EU-DG Energy (LTI-Studie), Wuppertal-Institut, Öko-Institut, Deutsche Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, zuletzt Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Nachhaltige Energieversorgung“) mit der Frage beschäftigt, in welchem Zeitraum und in welchem Umfang erneuerbare Energien in das heutige (deutsche, europäische, globale) Energiesystem eingeführt werden können. Szenarien sind zwar nur „Wenn-dann“-Modelle und beschreiben nicht zwangsläufig eine zukünftige Realität, aber sie machen deutlich, unter welchen Annahmen und mit welchen Randbedingungen eine denkbare oder gewünschte Entwicklung abläuft. In solch ein Szenario werden sehr viele Annahmen eingegeben und diese sind der eigentlich spannende Punkt: Sie beschreiben die Bedingungen, unter denen eine zukünftige Entwicklung ablaufen kann. Damit wird implizit der Politik auch deutlich gemacht, an welchen Punkten und mit welchen Instrumenten sie eingreifen kann und soll, wenn sie ein bestimmtes Ziel erreichen will. Gleichzeitig sagt solch ein Szenario auch etwas darüber aus, wie viel die Einführung erneuerbarer Energien kostet und wen es was kostet.

Alle Szenarien, die sich mit der Einführung erneuerbarer Energien befassen, kommen zu folgenden zentralen Ergebnissen:

  • Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist technisch möglich und volkswirtschaftlich bezahlbar – egal, ob auf nationaler, europäischer oder globaler Ebene. Dabei wird mit dem gegenwärtigen Stand der Technik gerechnet, zukünftige Verbesserungen bzw. Sprunginnovationen werden nicht vorausgesetzt.

  • Die „zusätzlichen“ Kosten gegenüber einem „business-as-usual“ hängen stark von der Einführungsgeschwindigkeit ab. Unter Berücksichtigung so genannter „externer“ Kosten werden sie sogar billiger als fossil-nukleare Szenarien und damit auch für die volkswirtschaftliche Bilanz günstiger.

  • Der Umstellungszeitraum bis zur Vollversorgung beträgt 5 bis 10 Dekaden, also etwa der Zeitraum, bis zu dem auch Klimaszenarien gerechnet worden sind.

Wichtige Elemente aller Szenarien sind eine gesteigerte Energieeffizienz und Energieeinsparung. Dies ist insofern von Bedeutung, weil die häufige Diskussion um einen Vorrang eines Elements keinen Sinn ergibt: Für eine nachhaltige Energieversorgung gehören Energieeffizienz (einschließlich Einsparung) und erneuerbare Energien zusammen wie siamesische Zwillinge!

Das Deutschland-Szenario der Enquete-Kommission für eine 80-prozentige Kohlendioxidminderung bis zum Jahre 2050 hatte u.a. folgende Ergebnisse:

  1. Ein Anteil von 50 Prozent erneuerbarer Energien bis 2050 am Primärenergieverbrauch Deutschlands ist ohne unzumutbare volkswirtschaftliche Belastung möglich.

  2. Dieser Anteil kann durch größeren Mitteleinsatz ausgeweitet werden, sofern dies politisch akzeptiert wird.

  3. Für dieses Ziel ist eine ehrgeizige Effizienz- und Einsparstrategie erforderlich, so sind u.a. Brennstoffzellen, solares Bauen, Wärmedämmung im Wohnungsbestand und deutlich verbrauchsreduzierte Fahrzeuge wichtige Elemente dieser Strategie.

  4. Wasserstoff spielt erst ab 2030 eine energiewirtschaftlich relevante Rolle als Sekundärenergieträger.

Die Notwendigkeit einer Umstellung der Energieversorgung ist heute bereits drängend. Die einzige Frage ist, wann die Politik und die Menschen darauf signifikant reagieren. Je später sie es tun, desto hektischer, chaotischer und unfriedlicher wird dieser Prozess ablaufen. Denn es ist wie mit einer Krankheit: je länger man sie ignoriert, desto fataler die Folgen. Die friedliche Zukunft der Menschen liegt im Erkennen der Tatsache, dass auch entgegen den ökonomischen Interessen einiger bestehender (mächtiger) Unternehmen der Entwicklungspfad „Erneuerbare Energien und Energieeffizienz“ eingeschlagen werden muss, der allein in der Lage ist, eine zukunftsfähige Energieversorgung für alle Menschen dieser einen Welt zu ermöglichen.

Dieter Uh

Deutsche Energie-Agentur
Berlin


     Die Redaktion Umwelt, am 16. Juni 2003 – ugii Homepages –