Umweltpanorama Heft 11 (Februar 2006) zur Liste | home

Von der Altlast zum natürlichen See

Durch die Aktivierung der natürlichen Selbstreinigung können selbst aus hochtoxischen Altlasten wieder naturnahe Lebensräume werden

In unmittelbarer Nähe des Dorfes Trebnitz, einer kleinen Gemeinde zwischen Zeitz und Weißenfels in Sachsen-Anhalt, wurde nach der Wende eine der spektakulärsten Altlasten auf dem Territorium der ehemaligen DDR „entdeckt“. Hoch konzentrierte phenolische Abwässer der Braunkohlen-Verschwelung des Werkes Deuben bei Zeitz wurden zwischen 1950 und 1968 in einen ehemaligen Tagebau geleitet. Es entstand ein See mit zwei Millionen Kubikmetern Inhalt, einer Fläche von neun Hektar und einer Tiefe bis zu 27 Metern. Der Gestank des fast schwarzen, stark kontaminierten „Wassers“ war eine Zumutung für die Anwohner und war zudem, milde ausgedrückt, ungesund.

Die Sichttiefe betrug gerade mal drei Zentimeter, der Sauerstoffgehalt war gleich Null und Grundwasserkontaminationen konnten nicht ausgeschlossen werden. Eine praktikable und bezahlbare Sanierung, die Kostenschätzungen verschiedener Firmen bewegte sich im zwei- und dreistelligen Millionenbereich, erschien bei dieser Dimension und der Besonderheit der Schadstoffe unmöglich – zumindest mit herkömmlicher Sanierungstechnik.

Ab dem Jahre 1992 entwickelten wir, mit der finanziellen Hilfe der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV) und der Aufgeschlossenheit genehmigender Behörden des Landes Sachsen-Anhalt, für diese hoffnungslos erscheinende Altlast ein Sanierungskonzept. Unsere Grundidee war, in dieser hochtoxischen Industriealtlast die natürliche Selbstreinigung zu initiieren und so zu steuern, dass ein naturnahes Ökosystem entsteht, bei dem keine Gefährdungen für Mensch und Umwelt zu erwarten ist.

Dazu sollten die stark gehemmten und außerordentlich langsam verlaufenden biologischen Abbauprozesse durch einfache technische Maßnahmen unterstützt werden. Dieses erschien uns realistisch, denn trotz des hohen Gehaltes an giftigen Substanzen – vorherrschend Phenole und Ammonium – war das Wasser, interessanter Weise, keineswegs biologisch tot. In den vorab untersuchten Wasserproben waren, wenn auch nur minimal, Mikroorganismen nachzuweisen.

vor und nach der Sanierung

Wasser aus der Schwelwasserdeponie vor und nach der Sanierung. (Foto: Norma Neuheiser, UFZ)

Das Sanierungskonzept, für das auch Begriffe wie ökotechnische Sanierung oder Bioremediation existieren, sah vor, die schwer abbaubaren huminstoffähnlichen Polymerverbindungen, die für die Schwarzfärbung des Deponiewassers verantwortlich waren, aus dem Wasserkörper durch eine einfache Flockung mit Eisen-III-Salzen zu beseitigen.

Sollten sich die Flocken am Seeboden absetzen, wird das Deponiewasser klar und ungefärbt. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass 50 Prozent der ursprünglichen organischen Verbindungen gebunden werden. Der entscheidende Punkt dabei ist die zunehmende Sichttiefe auf mehrere Meter, wodurch das Sonnenlicht tiefer in den Wasserkörper eindringen kann. Die Folge davon sollte nun sein: das Wasser erwärmt sich in Abhängigkeit von den Jahreszeiten, die Mikroorganismen werden wieder aktiv, womit der Sauerstoffgehalt, in den oberen Wasserschichten, durch die Photosynthese der Algen, allmählich auch wieder zu nimmt.

Getestet wurde zunächst im Labor, danach folgten Versuche in verschieden großen Maßstäben im See. Dazu nutzten wir so genannte Enclosures. Das sind unterschiedlich große, schwimmende Folienschläuche, die als geschlossene Experimentalgefäße im See – in situ – dienen. Und siehe da: Die Resultate unserer Tests erfüllten unsere Erwartungen.

Der Erfolg unserer Tests im See und die vergleichsweise niedrig ausfallenden Sanierungskosten waren für die LMBV überzeugend – sie übernahm sie die Finanzierung (zirka sechs Millionen Euro) für die Behandlung der gesamten Deponie.

Nach unseren Vorgaben wurde in einer logistischen Meisterleistung unter Nutzung spezieller Injektionstechnologien der gesamte See geflockt (1997), neutralisiert (1997) und mit Nährstoffen für die Mikroorganismen ergänzt (1998). Ende August 2004 konnten dann Ausrüstung und Technik, die an das 1992 begonnene Forschungs- und Sanierungsprojekt „Phenolsee“ erinnern, abgebaut werden.

Unseres Wissens war dies das erste realisierte Beispiel, bei dem eine Altlast derartiger Dimension auf wissenschaftlicher Grundlage und in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Umweltbiotechnologen, Chemikern, Geologen, Hydrogeologen, Gewässerkundlern, Hydrobiologen sowie Mikrobiologen gezielt einer Selbstreinigung zugeführt wurde.

Bis heute ist ein belebtes naturnahes Ökosystem entstanden, dessen Wasser gegenüber Bakterien, Algen und niederen Wasserlebewesen – dazu zählen Räder- und Wimperntiere, Stech- und Büschelmückenlarven sowie Zuckmücken – nicht mehr giftig ist. Diese neue biologische Vielfalt, die sich in der sauerstoffreichen Oberflächenzone heute nicht mehr von der eines natürlichen Sees unterscheidet, sorgt dafür, dass nach und nach die restlichen gelösten organischen Schadstoffe sowie der Ammoniumstickstoff abgebaut werden. Letzterer ist die Ursache dafür, dass man auf Fische noch viele Jahrzehnte warten muss, denn er ist für sie schon in sehr geringen Konzentrationen giftig. Wasservögel hingegen haben das Ökosystem inzwischen akzeptiert.


Prof. Dr. Ulrich Stottmeister
Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle


     Die Redaktion Umwelt, am 13. Februar 2006 – ugii Homepages –