Umweltpanorama Heft 10 (November 2005) | zur Liste | home | ||||||
Das Berliner Gleisdreieck Stadtentwicklungspolitik zu Lasten des Stadtklimas |
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Wer erinnert sich noch an die grauen Wintertage mit Smog-Alarm in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts? Seitdem scheint die berühmte Berliner Luft um vieles besser geworden zu sein. Die mit Briketts betriebenen Ofenheizungen sind in der Innenstadt fast völlig verschwunden, die maroden DDR-Industrieanlagen wurden dichtgemacht. Doch während die Braunkohle auf dem Rückzug ist, werden andere Belastungen gravierender: Autoabgase, Dieselruß, Feinstaub, bodennahes Ozon und die sommerliche Überhitzung. Berlin jedoch hat gute Vorsaussetzungen, sein Stadtklima zu temperieren. Mitten drin liegt eine rund 200 Hektar große Parkanlage, der Berliner Tiergarten. Der Tiergarten wirkt kühlend auf die ihn umgebenden dicht bebauten Stadtteile der Berliner Innenstadt. Und der Tiergarten ist über das Bahngelände des Gleisdreiecks an den südlichen Stadtrand angebunden. Die alten Bahntrassen sind sozusagen die Luftröhre, der Tiergarten die grüne Lunge Berlins. Deutlich zeigt dies die Karte mit den Jahresmitteltemperaturen. Blau gekennzeichnet sind die kalten Bereiche, wie der Große Tiergarten oder der Flugplatz Tempelhof. Rot gekennzeichnet sind die erwärmten Bereiche im Grunde alle Stadtquartiere, die sich rund um den Tiergarten befinden. Gelb sind die Bereiche mit mittlerer Temperatur, zum Beispiel entlang des Landwehrkanals oder die an der süd-östlichen Ecke an den Tiergarten angrenzenden Bahntrassen des Gleisdreiecks.
Genau an dieser Stelle ist jedoch in den letzten Jahren das größte Berliner Bauprojekt entstanden: der neue Potsdamer und Leipziger Platz. Die Umweltverträglichkeitsuntersuchung 1) hatte die mögliche Veränderung des Stadtklimas als den schwerwiegendsten Eingriff dieser Bauvorhaben bezeichnet. Denn durch die Bauten von Daimler Chrysler, Sony und ABB besteht die Gefahr, dass sich um den Tiergarten ein geschlossener Wärmering bildet. Eine Erhöhung der Jahresmitteltemperatur in der gesamten Berliner Innenstadt um ein bis zwei Grad wäre die Folge. Deswegen wurde in den Umweltgutachten gefordert, die Bahnflächen des Gleisdreiecks frei von weiteren geometrischen Hindernissen zu halten und dort mit Geldern, die die Investoren vom Potsdamer und Leipziger Platz für ökologischen Ausgleich zur Verfügung gestellt haben, bis zum Jahr 2000 eine qualitätvolle Parkanlage herzustellen. Aber der Park auf dem Gleisdreieck ist bis heute noch nicht da. Doch jüngst im September 2005 ist ein städtebaulicher Vertrag zwischen dem Grundstückseigentümer des Gleisdreiecks, der bundeseigenen VIVICO Real Estate, und dem Land Berlin unterschrieben worden. Bis zum Jahr 2007 soll das Land Berlin die Flächen bekommen, um den Gleisdreieck-Park zu realisieren. Allerdings hat das Land Berlin der VIVICO im Gegenzug sehr hohe Zugeständnisse gemacht. Insgesamt wurden vier Baufelder mit rund 16 Hektar Fläche ausgewiesen. Diese Bauflächen sollten sie realisiert werden sind nun genau die geometrischen Hindernisse, vor denen in der Umweltverträglichkeitsuntersuchung im Jahr 1994 gewarnt wurde. Dort wo die Ausgleichsfläche für den Potsdamer Platz realisiert werden sollte, unmittelbar südlich des Potsdamer Platzes auf der anderen Seite des Landwehrkanals, soll nun das Baufeld Flottwellpromenade entstehen. Anstelle des ökologischen Ausgleichs für den Potsdamer Platz, könnte nun eine Fortsetzung der Potsdamer-Platz-Bebauung treten. Das Beispiel zeigt, wie wenig stadtklimatische Zusammenhänge heute beachtet werden, auch wenn sie in den städtischen Planungen wie Flächennutzungsplan, Planwerk Innenstadt oder Landschaftsprogramm verankert sind. Die Verhandlungsführer für das Land Berlin, erst Herr Senator Strieder, dann Frau Senatorin Junge-Reyer sowie der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Dr. Franz Schulz haben die neuen Bauflächen in den für das Stadtklima sensiblen Bereichen auf der Westseite des Gleisdreiecks zugelassen, obwohl die Planungsziele des Landes hier eindeutig Grün vorgesehen haben. Mehr sei eben nicht drin gewesen. Der Vertrag sei ein stadtwirtschaftlicher Kompromiss, kommentierte dazu Baustadtrat Schulz. Dabei gab es schon 1994 einen Vorvertrag mit der Bahn, nach dem auf der Westseite des Bahngeländes acht bis zehn Hektar Ausgleichsfläche mit Anschluss an das Ufer des Landwehrkanals zum Preis von 80 Deutsche Mark pro Quadratmeter (entsprechend 40 €) festgeschrieben waren. Der kürzlich abgeschlossene städtebauliche Vertrag sieht jedoch dort nur noch vier Hektar Ausgleichsfläche vor, und die sind weit nach Süden verschoben. Im nördlichen Bereich befindet sich nun das Baufeld Flottwellpromende. Dadurch steigt der Wert der Fläche von 40 € auf 530 € pro Quadratmeter. Bei dem 2,5 Hektar großen Baufeld Flottwellpromenade macht das rund 13 Millionen Euro aus. Hat das bankrotte Land Berlin aus der Verschlechterung des Stadtklimas wenigstens etwas Geld gemacht? Nein denn die Wertsteigerung steckt allein der Grundstückseigentümer ein. Die einzige erkennbare Gegenleistung, die das Land Berlin bekommt, ist, dass es nach Jahren der Blockade überhaupt einen Vertrag bekommt. Die auf der Westseite fehlenden Ausgleichsflächen werden nun auf der östlichen Seite des Gleisdreiecks, dem Anhalter Güterbahnhof nachgewiesen, der für Bebauung nicht weiter interessant ist. Matthias Bauer
Anmerkungen Siehe auch den Beitrag von D. Scherer zu den Eigenschaften und Ursachen des Stadtklimas 1) Die Umweltverträglichkeitsprüfung war Teil des Koordinierungsbebauungsplans Potsdamer und Leipziger Platz 1994 |
Die Redaktion Umwelt, am 14. November 2005 | ugii Homepages |