Umweltpanorama Heft 9 (August 2005) | zur Liste | home | ||||||||||||
Lebensstil und naturheilkundliche Ordnungstherapie Eine Studie am Beispiel von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen |
|||||||||||||
In Deutschland leiden etwa 300 000 Menschen unter chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa). Die Ursache und Entwicklung der Erkrankungen ist weithin ungeklärt. Durch technische Innovationen und pharmakologische Neuentwicklungen ist in vielen Fällen eine adäquate medikamentöse Therapie möglich. Der Verlauf der Erkrankungen ist jedoch nach wie vor durch wiederkehrende Schübe oder eine chronische Verlaufsform mit erheblichem Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen gekennzeichnet. Für Herz Kreislauferkrankungen gilt als gesichert, dass Faktoren des Lebensstils und Stressfolgereaktionen für mehr als 60 Prozent der Gefäßerkrankungen mitverantwortlich sind. Verschiedene spezifisch biologische Mediatoren dieser psychosozialen Faktoren wurden bereits identifiziert. Auch für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) liegen immer mehr Hinweise vor, dass der Krankheitsverlauf durch Faktoren wie Stress, Bewegung und Ernährung beeinflusst wird. Während die medikamentöse Therapie in den letzten Jahren weiter verbessert wurde, wird die Bedeutung von Faktoren des Lebensstils für den Krankheitsverlauf zwar zunehmend wissenschaftlich anerkannt jedoch nicht strukturiert für die Therapie genutzt. Das überrascht vor allem deshalb, weil zunehmend die komplexen wechselseitigen Beziehungen zwischen Gehirn und Darm beforscht und offengelegt werden und sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen psychosozialen Stressoren und einer Verschärfung der Erkrankungen aus klinischer Sicht aufdrängt. Betroffene selbst bezeichnen psychischen Stress als krankheitsauslösend. Bei einer kürzlich deutschlandweit durchgeführten Befragung gaben 70 Prozent der Patienten an, dass Stress einen negativen Einfluss auf den Verlauf der Darmerkrankung habe. Hinweise auf die zentrale Bedeutung chronischer Stressoren in der Modulation der Krankheitsaktivität von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen belegen verschiedene Studien an Tieren im natürlichen Lebensumfeld sowie Tiermodelle und Studien zu psychoneuroimmunologischen Zusammenhängen 1). In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten wird der Einfluss psychosozialer Faktoren auf den Verlauf chronisch entzündlichen Darmerkrankung bestätigt. Stressbelastungen werden als ein Faktor in der Krankheitsaktivierung bewertet, wobei vor allem subjektiv empfundene chronische Stressbelastungen als von Bedeutung gewertet werden. In Langzeituntersuchungen konnte bisher jedoch kein Nachweis für einen signifikant positiven Einfluss von Schulungsprogrammen auf den Krankheitsverlauf erbracht werden. Die IDEAL-Studie In der hier vorgestellten IDEAL-Studie 2) erfolgte die Überprüfung der Wirksamkeit einer strukturierten Lebensstilmodifikation bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen im Rahmen eines so genannten ordnungstherapeutischen Programms. Bei der modernen Ordnungstherapie handelt es sich um eine Therapieform aus der klassischenNaturheilkunde mit dem Schwerpunkt einer Lebensstilveränderung und der dauerhaften Einbindung gesundheitsfördernder Elemente aus den Bereichen Ernährung, Bewegung, Entspannung, Verhaltensmodifikation und Stressbewältigung in den Alltag, ergänzt durch naturheilkundliche Selbsthilfestrategien. Die theoretische Grundlage dieses Konzeptes basiert auf dem salutogenetischen Ansatz nach Antonovsky. Dem zufolge beinhaltet Gesundheit nicht einen normalen, passiven Gleichgewichtszustand sondern ein labiles, aktives und sich dynamisch regulierendes Geschehen. Gesundheit hängt auch davon ab, wie gut der einzelne Mensch dazu in der Lage ist, die vorhandene Ressourcen zum Erhalt der eigenen Gesundheit und des eigenen Wohlbefindens zu nutzen. Ein Ziel ist die Steigerung der Stressbewältigung des Patienten. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Förderung der Eigenkompetenz und des so genannten internalisierten Kontrollverhaltens, das heißt dem Bewusstsein des Patienten, aktiv sein Krankheitsgeschehen beeinflussen zu können. Studienziel Ziel der vorliegenden Studie war es, die Effekte der naturheilkundlichen Ordnungstherapie bei Patienten mit manifester Colitis ulcerosa abzubilden. Bei der Untersuchung gab es drei Schwerpunkte: Der erste Schwerpunkt der Studie war es, die Auswirkung des ordnungstherapeutischen Programms in Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität zu untersuchen. Des weiteren erfolgte die detaillierte Untersuchung klinischer Krankheitsaspekte (Krankheitsaktivität) in Form von Anamnese, körperlicher Untersuchung, Labor- und Stuhluntersuchungen. Im dritten Schwerpunkt der Studie wurde Veränderungen im Immun- und Hormonsystem analysiert. Studiendesign Insgesamt wurden 30 Patienten mit Colitis ulcerosa per Zufall in zwei Gruppen eingeteilt, von denen die Patienten der Therapiegruppe sofort an der Ordnungstherapie teilnahm, während die Patienten der Kontrollgruppe die Therapie erst einige Monate später nach Abschluss der wissenschaftlichen Untersuchungen erhielt. Diese Wartezeit diente als Kontrolle, mit der sich spontane Veränderungen im Krankheitsbild von Therapieeffekten abgrenzen lassen. Die Patienten in der Therapiegruppe nahmen an einem 60-stündigen Übungsprogramm über zehn Wochen teil. Das Übungsprogramm enthielt die Elemente: Stress-Erkennung und -Reduktion/ Entspannung, Bewegungstherapie, eine Ernährungstherapie auf der Grundlage einer leichten Vollwertkost, spezielle verhaltenstherapeutische Techniken und naturheilkundliche Selbsthilfestrategien. Bei allen Teilnehmern wurden vor Beginn und nach Ende der Therapie beziehungsweise Wartezeit der klinische Krankheitsverlauf untersucht sowie Hormone im Blut und Immunfunktionen von Zellen im Blut analysiert. Darüber hinaus wurden bei Studienbeginn, zum Ende der Therapie sowie drei Monate nach der Therapie gesundheitsbezogene Lebensqualität und psychosoziale Befindlichkeit mit Fragebögen untersucht. Teilnehmer der Studie Das Patienteninteresse für das Projekt war sehr groß. Nach einer kurzen Presseaktion in regionalen Tageszeitungen und einem lokalen Radiosender sowie Informationen auf der Homepage der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung e.V. (DCCV) und im Bauchredner (dem Journal des DCCV) im Vorfeld der Studie, nahmen zirka 500 Patienten telefonischen Kontakt zu uns auf, von denen über 300 an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung litten. Nach telefonischer Abklärung der Ein und Ausschlusskriterien kamen zirka 100 Patienten zu der Informationsveranstaltung für die Studie, von denen schließlich 30 in die Studie eingeschlossen werden konnten und per Zufall der Therapie- und der Kontrollgruppe zugelost wurden. Auswertung und Analyse Die statistische Analyse ergab, dass sich beide Gruppen vor Beginn der Therapie weder in Bezug auf soziodemographische noch im Bezug auf klinische Daten signifikant von einander unterschieden. Um die psychoneuroimmunologischen Parameter möglichst unverfälscht abzubilden, galten systemische Immunsuppressiva (wie Azathioprin, Infliximap) oder Kortison in Tablettenform mit mehr als zehn Milligramm pro Tag als Ausschlusskriterien für die Studie. Damit konnten keine Patienten mit höherer Krankheitsaktivität in die Studie eingeschlossen werden. Lebensqualität Gesundheitsbezogene Lebensqualität ist in den letzten Jahren immer mehr in den Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses getreten. Der schubweise Verlauf der Erkrankung, Nebenwirkungen der Medikamente, Angst vor Krebs und Operationen nehmen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen. Wie schon lange auch von der DCCV gefordert, wird die subjektive Lebensqualität der Patienten deshalb immer häufiger als Qualitätskriterium der Behandlung erfasst. Neben objektiven Faktoren, wie Lebenszeitverlängerung, Krankheitsaktivität oder der Verringerung von Komplikationen, nimmt vor allem für chronische Erkrankungen mit schwer prognostizierbarem Verlauf die Lebensqualität einen höheren Stellenwert ein.
Die Lebensqualität wurde in der Studie mit zwei international anerkannten Fragebögen untersucht:
IBDQ Der IBDQ wurde speziell für Patienten mit CED entwickelt. Die insgesamt 32 Fragen waren in vier Kategorien unterteilt:
Es wurden 32 bis 224 Punkten vergeben, wobei eine höhere Gesamtpunktzahl eine höhere Lebensqualität anzeigt. In vorangegangenen Studien mit Morbus Crohn Patienten wurde in der Literatur ein relevanter Therapieerfolg mit einer Verbesserung der Gesamtpunktzahl um 16 Punkte pro Patient und eine normale Lebensqualität mit 170 Punkten festgelegt. Direkt nach Abschluss der Therapie verbesserte sich der IBDQ in der Therapiegruppe im Durchschnitt um 19,2 Punkte (siehe Abbildung 1). Die Veränderungen der Kategorien sind in Abbildung 1 analog dargestellt.
Drei Monate nach Abschluss der Therapie zeigte die Therapiegruppe noch durchschnittlich 176 Punkte und hatte sich damit um 16 Punkte verbessert. Die Kontrollgruppe nahm wieder ihren Ausgangswert an (siehe Abbildung 2). Im Vergleich zum Therapieende nivellierten sich nach drei Monaten die einzelnen Kategorien zwischen Therapie- und Kontrollgruppe wieder etwas. SF-36 Der SF-36-Fragebogen misst die Lebensqualität nicht krankheitsspezifisch in Hinblick auf CED. Er ist also allgemeiner angelegt. Er enthält die Bewertung der Lebensqualität in insgesamt 36 Fragen, die 8 Skalen, normiert von 0 bis 100 Punkte, zugeordnet sind. Diese sind noch einmal untergliedert in körperliche und psychische Kriterien. Körperliche Kriterien:
Psychische Kriterien:
Die psychische Summenskala, die die Kriterien Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion und psychisches Wohlbefinden vereint, zeigte im Anschluss an die Therapie in der Kontrollgruppe im Vergleich zwischen den zwei Messzeitpunkten (vor Therapiebeginn, Therapieende) keine Veränderungen (siehe Abbildung 3). Die Therapiegruppe zeigt hingegen einen Zuwachs um 7,2 Punkte. Die Veränderungen der anderen Kategorien sind wieder in Abbildung 3 analog dargestellt.
Krankheitsaktivität Zur weiteren Beurteilung der Therapie sollte auch die Aktivität der Erkrankung herangezogen werden. Die Krankheitsaktivität wurde mit dem Colitis-Aktivitäts-Index (CAI) nach Rachmilewitz errechnet. Wie schon oben erklärt galten systemische Immunsuppressiva oder Kortison in Tablettenform mit mehr als 10 Milligramm pro Tag als Ausschlusskriterien für diese Studie, um die psychoneuroimmunologische Untersuchungen möglichst unverfälscht abzubilden. Da aber gerade Patienten mit einer höheren oder chronischen Aktivität der Colitis ulcerosa mit diesen Medikamenten therapiert werden, zeichneten sich die Teilnehmer der Studie überwiegend durch eine geringe oder keine aktuelle Aktivität der Erkrankung aus. In die Berechnung des CAI fließen folgende Kriterien ein: Anzahl der Stühle pro Woche, Blut im Stuhl, Allgemeinbefinden des Patienten, Bauchschmerzen/Krämpfe, Fieber, Symptome der Colitis ulcerosa die sich nicht am Darm zeigen, wie Gelenkschmerzen, Augen- oder Hautbeteiligung, die Blutsenkungsgeschwindigkeit und das Hämoglobin im Blutserum. Da diese Kriterien vor allem bei einer stärkeren oder chronischen Aktivität ansprechen, zeigte sich der Aktivitätsindex bei vielen Patienten nicht gravierend verändert. Psychoneuroimmunologische Untersuchung Vor Beginn und nach Abschluss der Therapie wurden verschiedene Untersuchungen im Blut und Urin der Patienten durchgeführt, die Teile der Wechselwirkung zwischen Psyche, Hormon-, Nerven- und Immunsystem abbilden können. So wurden verschiedene Botenstoffe des Immunsystems (TNF-alpha, IL-6 und IL-10) bestimmt und die Immunfunktionen von Zellen im Blut (Subpopulationen der T-Lymphozyten, B-Lymphozyten und Monozyten) mittels Durchflusszytometrie analysiert. Weiterhin wurden Hormone im Blut und Urin gemessen (katecholamine Adrenalin, Noradrenalin aus dem Urin, Kortisol, Wachstumshormon und Prolaktin aus dem Blutserum). Im Vergleich zu einer Gruppe gesunder Probanden, zeigten sich für die Colitis ulcerosa Patienten signifikante Unterschiede im Hinblick auf Leukozyten und Lymphozyten im Blut. Jedoch wurden keine signifikanten Unterschiede in der Therapiegruppe nach der Therapie zu den Ergebnissen vor Beginn der Therapie beobachtet. Für die Spiegel von Kortisol, Wachstumshormon, Prolaktin, saures-alpha-glykoprotein und C-reaktives Protein im Blutserum, zeigten sich im Vergleich zur Gruppe der gesunden Probanden keine nennenswerten Unterschiede. Auch die Werte der Therapiegruppe vor Beginn und am Ende der Therapie waren unauffallend verändert. Zusammenfassung und Ausblick Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass eine intensivierte Lebensstilmodifikation im Rahmen der naturheilkundlichen Ordnungstherapie die Lebensqualität von Patienten mit Colitis ulcerosa verbessern kann. Patienten, die an der naturheilkundlichen Ordnungstherapie teilnahmen zeigten eine relevante Verbesserung der krankheitsspezifischen Lebensqualität, die auch nach drei Monaten bei einem Teil der Patienten Bestand hatte. Darüber hinaus zeigten sich im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit konventioneller Therapie ein signifikante Verbesserung der Lebensqualität im Bereich der Darmsymptomatik (IBDQ) sowie der allgemeinen psychischen Gesundheit, der emotionale Grundstimmung, der Vitalität und dem Ausmaß, in dem emotionale Probleme die Arbeit oder andere tägliche Aktivitäten beeinträchtigen (SF-36). Der Colitis-Aktivitäts-Index zeigte vor dem Hintergrund, dass sich die Teilnehmer der Studie überwiegend durch eine geringe oder keine aktuelle Krankheitsaktivität auszeichneten, keine gravierende Veränderung. Wichtig ist zu bemerken, dass wir in dieser Studie nur eine relativ kleine Patientengruppe untersucht konnten und dass sich die teilnehmenden Patienten im Vorfeld der Studie aktive um eine Teilnahme bemühen mussten. Es ist nicht Auszuschließen, dass diese Faktoren die Aussagefähigkeit der Ergebnisse beeinflusst haben. Dennoch ergeben sich aus den Ergebnissen und Erfahrungen dieser Studie interessante Anregungen für die Zukunft: Die Verbesserung der Lebensqualität wurden bei Patienten in Remission, also in einer Ruhephase der Erkrankung, oder mit relativ niedriger Krankheitsaktivität erzielt. Von großem Interesse ist es nun, wie Patienten mit hoher oder chronischer Krankheitsaktivität, oder ob und wie Patienten mit einem Morbus Crohn von einem solchen begleitenden ganzheitlichen Therapieansatz profitieren. Außerdem ist nun ein Folgeprojekt denkbar, in dem Patienten mit einer CED vor und nach der integrativen Therapie einem definierten Stressor ausgesetzt werden (ein in der Wissenschaft etabliertes Verfahren ist zum Beispiel das freie Sprechen vor einer Gruppe), um so Unterschiede in den psychoneuroimmunologischen Parametern abzubilden, wie dies in anderen Untersuchungen schon gezeigt wurde. Dr. Jost Langhorst Anmerkungen 1) Unter Psychoneuroimmunologie versteht man die gegenseitige Beeinflussung von Psyche, Nerven-, Hormon und Abwehrsystem. Eine Forschungsrichtung, die sich erst vor wenigen Jahrzehnten etabliert hat. 2) Die IDEAL-Studie: Intensivierte Lebensstilmodifikation im Rahmen der naturheilkundlichen Ordnungstherapie bei Patienten mit Colitis ulcerosa Einfluss auf psychoneuroimmunologische Interaktionen und die Lebensqualität. Diese Studie wurde im Jahr 2002 von der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung e.V. (DCCV) finanziell unterstützt (Forschungsstipendium Komplementär-/Alternativmedizin 2002, Forschungsstipendium Gesundheitsförderung 2002). |
Die Redaktion Umwelt, am 15. August 2005 | ugii Homepages |