Umweltpanorama Heft 10 (November 2005) zur Liste | home

Eigenschaften und Ursachen des Stadtklimas

Die Bedingungen in der bodennahen städtischen Luftschicht, dem Lebensraum von mittlerweile drei Milliarden Menschen, werden durch großräumige, mit Instrumenten der Stadtplanung nicht zu beeinflussende atmosphärische Prozesse geprägt. Somit ist das Klima einer Stadt, welches als charakteristische Häufigkeitsverteilung der zugrunde liegenden Wetterbedingungen aufgefasst werden kann, durch deren geographische Lage sowie die weiteren großräumig wirksamen Klimafaktoren bestimmt und folgt grundlegend dem daraus resultierenden regionalen (mesoskaligen) Klima.

Die physikalischen und chemischen Eigenschaften der, auch als städtische Grenzschicht bezeichneten, Stadtatmosphäre weisen im Vergleich zum weniger dicht oder gar nicht besiedelten Umland markante Unterschiede auf. Diese sind das Ergebnis der spezifischen Austauschprozesse von Impuls, Masse und Energie an ihrem Unter- beziehungsweise Oberrand (Abbildung 1). Die in der städtischen Grenzschicht vorherrschenden lokalskaligen Prozesse, mit Reichweiten von hundert Metern bis wenigen Kilometern, stehen am Unterrand, das heißt der Stadtoberfläche mit ihren kleinräumigen (mikroskaligen) Stadtstrukturen, über eine Vielzahl von Austauschprozessen in Wechselwirkung. Diese gegenseitige Beeinflussung und die daraus resultierenden Stadtklimaphänomene sind bis heute Gegenstand zahlreicher stadtklimatologischer Forschungsaktivitäten.

AustauschprozessUnterschied Stadt-Umland
Impulsaustauschverstärkter vertikaler Impulsfluss
abgeschwächter Horizontalwind
verstärkte Turbulenz
komplexe Strömungsverhältnisse
Energieaustauschkomplexe Strahlungsverhältnisse
wesentlich erhöhter Speicheranteil
reduzierter latenter Wärmestrom
anthropogene Wärmeproduktion
Massenaustauscherhöhte anthropogene Emissionen
erhöhte Deposition von Luftbeimengungen
reduzierte Evapotranspiration
komplexe Niederschlagsmuster

Klimarelevante Austauschprozesse im Vergleich Stadt-Umland

Aber auch am Oberrand der städtischen Grenzschicht sind die lokalen Prozesse mit den übergeordneten Wetterbedingungen über entsprechende Austauschprozesse gekoppelt. Über diese Kopplungen findet die eingangs erwähnte Prägung des Stadtklimas durch das Regionalklima statt. Das Wissen hierüber ist jedoch erst seit vergleichsweise kurzer Zeit, insbesondere durch die Verfügbarkeit neuer boden-, flugzeug- und satellitengestützter Fernerkundungstechnologien, gewachsen, aber bis heute immer noch unzureichend. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind viele Anwendungen stadtklimatologischen Wissens für umweltbezogene Fragestellungen oder die Stadt- und Regionalplanung immer noch stark „bodenlastig“, das heißt auf die besser untersuchten und unmittelbar erfassbaren bodennahen Gegebenheiten fokussiert. Die Nebenstehende Tabelle bietet eine Übersicht über die wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Umland hinsichtlich der nachfolgend genauer beschriebenen klimarelevanten Austauschprozesse.

Windverhältnisse

Wind wird mit zunehmender Nähe zur Erdoberfläche durch die dort herrschende Rauhigkeit abgebremst und verliert hierdurch Impuls. Dieser wird zur Erdoberfläche transportiert und dort von der Erde absorbiert, was aufgrund der riesigen Masse der Erde aber nicht spürbar wird. Nur im Falle von Stürmen können wir durch vom Winde verwehte Gegenstände den Impulsübertrag direkt beobachten. Die Übertragung des Impulses zwischen der Atmosphäre und den dreidimensionalen Stadtstrukturen wirkt sich über den Städten, die zusammen mit Wäldern die höchsten Oberflächenrauhigkeiten aufweisen, teilweise bis in mehrere Kilometer Höhe aus. Die für den Wind undurchdringbaren Gebäude stellen darüber hinaus markante Strömungshindernisse dar, die um- oder überströmt werden müssen, und sind hierdurch für die komplexen Windverhältnisse in den Straßenschluchten verantwortlich. Sowohl in den Straßenschluchten als auch in der unteren städtischen Grenzschicht herrschen im Mittel niedrigere Windgeschwindigkeiten als im (nicht bewaldeten) Umland vor. Die Turbulenz ist hingegen meist verstärkt. Die städtische Grenzschicht, welche an Sommertagen bis zu drei Kilometer hoch reichen kann, ist aufgrund der verstärkten Turbulenz sowie des veränderten, nachfolgend beschriebenen Energiehaushalts insbesondere in der Nacht besser durchmischt als die nicht städtisch beeinflusste Grenzschicht des Umlands. Dies zeigt sich unter anderem an der Tatsache, dass Nebel in der Stadt seltener auftritt als im Umland.

Austauschprozesse an der staedtischen Grenzschicht

Abbildung 1: Schema des Austausches von Impuls (weiß), Energie (rot) und Masse (blau) am Unter- und Oberrand der städtischen Grenzschicht, illustriert am Beispiel Berlins. (Foto: Andreas Christen)

Windfeld und Turbulenz sind für die Verfrachtung und Durchmischung von Luftbeimengungen verantwortlich und hierdurch von großer Bedeutung für die Luftqualität. Dies gilt insbesondere in Städten, in welchen meist deutlich höhere Einträge von Luftschadstoffen zu verzeichnen sind. Insofern ist die in Städten beobachtete Abschwächung des Windes als ungünstig für die Verfrachtung, die Intensivierung der Turbulenz hingegen als günstig für die Durchmischung (Verdünnung der Luftschadstoffkonzentration) zu betrachten. Welcher der beiden gegenläufigen Effekte in Städten dominiert, kann jedoch nicht allgemein vorhergesagt werden, sondern muss im Einzelfall detailliert untersucht werden.

Energieaustausch

Der städtische Energiehaushalt, das heißt die Bilanz aller Energieaustauschprozesse am Unterrand der städtischen Grenzschicht, ist in komplexer Weise mit den Austauschprozessen von Impuls und Masse in Form von Niederschlag und Verdunstung verbunden. Stadtspezifische Phänomene, wie die städtische Wärmeinsel, stehen in direkter Verbindung mit den Tages- und Jahresgängen der Energieflüsse an der Stadtoberfläche. Die größte Bedeutung für den Energiehaushalt haben die solaren und thermischen Strahlungsflüsse, welche in Städten sowohl durch die Dreidimensionalität der Stadtstrukturen, aber auch durch die kleinräumig variierende Vielfalt (Heterogenität) natürlicher und künstlicher Oberflächenmaterialien schwierig zu untersuchen sind. So gibt es bis heute nur wenige Untersuchungen, die gezielt die stadtspezifischen Aspekte des Strahlungshaushalts adressieren.

Strahlung

Städte weisen markante Veränderungen der kurz- und langwelligen Strahlungsflüsse auf. Diese sind unter anderem die Folge der Trübung der Stadtatmosphäre durch Luftverunreinigungen. In wirtschaftlich hoch entwickelten Regionen der Erde ist dies infolge der durchgeführten Luftreinhaltemaßnahmen heute in deutlich geringerem Umfang der Fall als noch vor wenigen Jahrzehnten. In weniger entwickelten Regionen der Erde, in welchen zudem die Verstädterung mit ungebremster oder gar beschleunigter Geschwindigkeit stattfindet, sind bedeutsame Änderungen der Strahlungsbedingungen infolge der Luftverunreinigung bis heute nicht nur mess-, sondern sogar leicht wahrnehmbar. Für alle Städte gilt, dass Gebäude innerhalb der Straßenschluchten gravierende, räumlich und zeitlich stark variable Strahlungsverhältnisse bewirken. Menschen nutzen dies beispielsweise dadurch, dass sie sich im Sommer bevorzugt im Schatten der Gebäude aufhalten und hierdurch die Wärmebelastung in großem Umfang reduzieren.

In Thermalbildern, welche im Rahmen von Flugzeugmesskampagnen oder mit Hilfe von Satellitensystemen gewonnen werden, sind die Temperaturen versiegelter oder überbauter Oberflächen am Tage höher als die der meisten unversiegelten Flächen. Dies ist am Beispiel der Stadt Basel, Schweiz, in Abbildung 2 dargestellt. Mit Ausnahme von Gewässern und dem Kronenbereich von Wäldern gilt dies auch in der Nacht, wenn auch deutlich abgeschwächt. Höhere Oberflächentemperaturen bedingen höhere Energieverluste durch langwellige Ausstrahlung, nicht jedoch zwangsläufig höhere Lufttemperaturen, obwohl dies immer wieder fälschlicher Weise aus den Thermalbildern abgeleitet wird.

Die Strahlungsbilanz der Stadtoberfläche fasst alle Energiegewinne und -verluste durch Strahlungsflüsse zusammen; ist sie positiv, dann wird den Gebäuden beziehungsweise dem Untergrund Energie zugeführt und in andere Energieformen umgewandelt. Ein Teil dieser Energie führt in den Gebäuden oder tieferen Schichten des Untergrundes zu einer Temperaturerhöhung und ist als Wärmespeicherung zu betrachten, weshalb diese Größe auch als Speicherterm bezeichnet wird. Während in Böden, insbesondere wenn diese vegetationsbedeckt sind, nur zirka 5 bis 10 Prozent der Strahlungsbilanzgewinne gespeichert werden, kann dieser Anteil in Städten zwischen 30 und 40 Prozent, im Einzelfall bis zu 60 Prozent betragen. In Zeiten mit Strahlungsverlusten (negativer Strahlungsbilanz) wird dem Wärmespeicher wieder Energie entzogen, wobei sich der Speicher entsprechend abkühlt. Die, durch die dreidimensionalen Gebäudestrukturen sowie teilweise durch die thermischen Eigenschaften der verwendeten Baumaterialien bedingte, wesentlich größere Wärmespeicherkapazität der Städte ist als zentrale Ursache des städtischen Wärmeinseleffektes zu sehen, was nachfolgend noch genauer erläutert wird.

Wärme

Die um den Speicherterm bereinigte Strahlungsbilanz wird auch als verfügbare Energie bezeichnet, weil sie für Turbulenz gesteuerte Energieaustauschprozesse zur Verfügung steht, beziehungsweise von diesen zur Verfügung gestellt werden muss, um die Energiebilanz auszugleichen. Zwei Austauschprozesse konkurrieren hierbei miteinander: der fühlbare und der latente Wärmestrom.

Der fühlbare Wärmestrom, welcher den Austausch von Wärme zwischen zwei Medien mit unterschiedlicher Temperatur bezeichnet, ist an der Stadtoberfläche für die Erwärmung und Abkühlung der mit den städtischen Oberflächen in Kontakt stehenden Luft verantwortlich. Ist die Luft kälter als die Oberfläche, wird sie erwärmt; ist sie wärmer als die Oberfläche, dann gibt sie einen Teil ihrer Wärme ab und es bildet sich Kaltluft (der Begriff Kaltluft ist in gewisser Weise irreführend, da eine von 25° Celsius auf 20° Celsius abgekühlte Luft nicht wirklich als kalt bezeichnet werden kann). Die Turbulenz sorgt dafür, dass die erwärmte beziehungsweise abgekühlte Luft mit Luft aus höheren Schichten ersetzt wird und der Wärmeaustausch an der Stadtoberfläche (und in der Atmosphäre) weitergeht.

Der latente Wärmestrom kommt dadurch zustande, dass sowohl beim Verdunsten von Wasser als auch beim Kondensieren von Wasserdampf Energie einerseits benötigt und andererseits freigesetzt wird. Wasserdampfmoleküle tragen somit die zu ihrer Bildung benötigte Energie versteckt (latent) mit sich. Die Verdunstung findet sowohl physikalisch (Evaporation) als auch biologisch (Transpiration) statt, weshalb der kombinierte Prozess, der große Energiemengen benötigt, als Evapotranspiration bezeichnet wird. Der umgekehrte Vorgang, der sich durch Tau- oder Reifniederschlag bemerkbar macht, ist über bebauten Flächen der Städte im Vergleich zu unbebauten Flächen nur in geringem Umfang beobachtbar. Wie beim fühlbaren Wärmestrom ist der latente Wärmestrom von der Turbulenz gesteuert, welche analog zum Wärmetransport auch den Transport des Wasserdampfs bewerkstelligt.

Allgemein geht man infolge der im Vergleich zum Umland geringeren Vegetationsbedeckung in Städten von einer reduzierten Evapotranspiration aus. In unbesiedelten Gebieten nimmt das so genannte Bowen-Verhältnis, das ist das Verhältnis von fühlbarer zu latenter Wärme, tagsüber Werte zwischen 40 und 60 Prozent ein, während in Städten Werte zwischen 100 und 200 Prozent üblich sind. In trockenen Klimaten können während niederschlagsfreier Perioden durchaus Werte bis zu 800 Prozent gemessen werden, was bedeutet, dass die Evapotranspiration infolge der geringen Wasserverfügbarkeit praktisch vernachlässigbar ist. Andererseits können Stadtgebiete in der Nähe größerer Gewässer oder in Küstenlage aufgrund der verstärkten Turbulenz, bei ausreichend für die Evaporation verfügbarer Energie, durchaus vergleichbare oder gar geringfügig erhöhte Werte aufweisen. Hinzu kommen hochgradig variable anthropogene Einträge von Wasserdampf in die Stadtatmosphäre, zum Beispiel durch Kraftwerke oder Industrieanlagen, so dass das Bild von Städten als Trockeninseln als zu sehr pauschaliert oder gar falsch bezeichnet werden muss.

Thermalbild von Basel

Abbildung 2: Thermalbild des Stadtgebiets von Basel, Schweiz, aufgenommen mit dem satellitengestützten Sensor Landsat-5 The-matic Mapper (TM). Die höchsten Oberflächentemperaturen (545 W/m2 = 40 Grad Celsius: weiß) treten in dicht bebauten Stadtquartieren, in industriell genutzten Gebieten sowie in ausgedehnten Gleisanlagen auf. Wälder und der Rhein weisen hingegen die niedrigsten Oberflächentemperaturen auf (420 W/m2 = 20 Grad Celsius: schwarz).

Der städtische Energiehaushalt wird durch eine weitere Größe beeinflusst, die im Umland weitgehend vernachlässigbar ist. Der so genannte anthropogene Wärmestrom, das heißt der Eintrag von Abwärme in die Atmosphäre, beträgt räumlich und zeitlich gemittelt zwar nur wenige Prozent der übrigen Energieflüsse, kann aber in der Nähe von Wärmequellen in der Nacht durchaus vergleichbare Werte annehmen.

Die Stadt als Wärmeinsel

Ein von den meisten Städten der Erde bekanntes und sehr gut messtechnisch belegtes Phänomen wird als städtische Wärmeinsel bezeichnet. Betrachtet man die Monats- oder Jahresmittelwerte der Lufttemperatur in Bodennähe (meist in zwei Meter Höhe über der Erdoberfläche), dann weisen Städte im Vergleich zum Umland um einige wenige Grade höhere Temperatur auf. Auch die Tagesmittelwerte zeigen überwiegend ähnliche Verhältnisse an. Betrachtet man aber einzelne Stundenmittelwerte, dann erkennt man in vielen Städten, dass im Sommer, in den späteren Morgenstunden die Lufttemperaturen oft geringfügig niedriger als im Umland sind. In manchen Städten (wie in Basel) ist dies sogar bis zum späten Nachmittag der Fall. Die Intensität der städtischen Wärmeinsel, welche durch diesen Temperaturunterschied charakterisiert ist, schwankt somit tages- und jahreszeitlich, weshalb die städtische Wärmeinsel auch als ein im Sommer nächtliches, im Winter teilweise ganztägiges Phänomen bezeichnet wird.

Die zuvor erwähnte Tatsache, dass in Thermalbildern die Städte ganztägig wärmer als das Umland erscheinen, während die Lufttemperaturen vor allem nachts in der Stadt höher sind, ist kein Widerspruch. Änderungen der Lufttemperatur erfolgen nämlich aufgrund des fühlbaren Wärmestroms, welcher an der Stadtoberfläche aus der dort verfügbaren Energie gespeist wird. Mit höheren Oberflächentemperaturen wird diese aufgrund der erhöhten Ausstrahlungsverluste aber kleiner (oder gar negativ). Der entscheidende Faktor für die höheren Lufttemperaturen in Städten ist dadurch gegeben, dass dort der Speicherterm tagsüber hohe Werte annimmt und somit die verfügbare Energie drastisch reduziert. Es ist also in Städten trotz der dort meist geringeren Evapotranspiration gar nicht mehr, teilweise sogar weniger Energie für die fühlbare Wärme vorhanden als im Umland. Erst in den Abendstunden, wenn der Wärmespeicher die Strahlungsbilanzverluste reduziert oder sogar überkompensiert, dann ist der fühlbare Wärmestrom in der Stadt noch positiv, im Umland aber bereits negativ und somit mit Kaltluftbildung verbunden.

Kalt- und Frischlufttransporte

Eine Stadt würde sich aus diesem Grund selbst in der Nacht noch weiter erwärmen oder zumindest nicht abkühlen, wenn es nur die Energieaustauschprozesse an der Stadtoberfläche gäbe. Die allgemeine Beobachtung, dass auch in Städten die Lufttemperatur nachts abnimmt, ist ein klarer Hinweis dafür, dass weitere Wärmetransporte auf die nächtliche Entwicklung der Lufttemperatur einwirken. So können, je nach Relief und Konfiguration von Strömungshindernissen, in der Nacht kühlere Luftmassen horizontal (advektiv) über Kaltlufttransporte in Stadtquartiere eindringen. Dies erfolgt über so genannte Kaltluftbahnen, welche die Kaltluftproduktionsgebiete mit den entsprechenden Stadtquartieren verbinden.

Die Kaltluft produzierenden Flächen stellen somit in diesem Wirkungsgefüge Ausgleichsräume dar, während die betroffenen Stadtquartiere als Wirkräume und die Kaltluftbahnen als Luftleitbahnen bezeichnet werden. Ist mit dem Kaltlufttransport, welcher rein thermisch definiert ist, auch eine Zufuhr lufthygienisch gering belasteter Luft verbunden, dann spricht man von Frischlufttransport. Hierzu ist es aber wichtig, dass weder in den Kaltluftproduktionsgebieten noch in den Luftleitbahnen nennenswerte Luftschadstoffemissionen stattfinden. Es muss jedoch davor gewarnt werden, die Luftleitbahnen in ihrer Wirksamkeit für den Kalt- und Frischlufttransport zu überschätzen. In Berlin, das sich durch ein nur geringes Relief auszeichnet, sind Luftleitbahnen nicht in der Lage, mehrere Kilometer voneinander entfernte Ausgleichs- und Wirkräume miteinander zu verbinden, wie das gut untersuchte Beispiel des Gleisdreiecks und der südlich daran anschließenden unbebauten Flächen zeigen. Die Bedeutung dieser unbebauten Flächen besteht darin, dass sie infolge der dort ablaufenden Kaltluftproduktion selbst als Ausgleichsräume für die angrenzenden Wohngebiete fungieren, nicht aber in der Lage sind, als Luftleitbahnen für Kaltluftproduktionsgebiete südlich des Berliner Stadtgebiets zu dienen.

Thermalinfrarotbild westlich des Steglitzer Kreisels

Abbildung 3: Das Fachgebiet Klimatologie an der Technischen Universität Berlin hat in diesem Jahr begonnen, in Berlin eine auf langfristige Untersuchungen stadtklimatisch relevanter Größen ausgerichtete Forschungsinfrastruktur aufzubauen. Im Rahmen des Forschungsprogrammes EXCUSE (Energy eXchange and Climates of Urban Structures and Environments) zeichnet eine Thermalinfrarotkamera bis zu 50 Wärmebilder pro Sekunde auf, welche die räumlichen Muster der Oberflächentemperaturen (10° Celsius (schwarz) bis 40° Celsius (weiß)) westlich des 125 Meter hohen Steglitzer Kreisels im zeitlichen Verlauf dokumentieren. Auf diese Weise werden die Vorteile flugzeug- und satellitengestützter Messungen und die von klassischen meteorologischen Stationsmessungen ideal miteinander kombiniert.

Die nächtliche Abkühlung der Stadtluft in unmittelbarer Bodennähe wird in erheblichem, aber derzeit noch nicht gut untersuchtem Umfang auch durch vertikale Austauschprozesse in der Höhe bewerkstelligt. Infolge der auch nächtlich noch stattfindenden Durchmischung der städtischen Grenzschicht kommt es zum „Herabmischen“ kühlerer Luft aus größeren Höhen, das heißt zu einem am Oberrand der Stadtatmosphäre gesteuerten, also nach oben gerichteten fühlbaren Wärmestrom. Sofern die herab gemischte, kühlere Luft nicht durch vorangegangene städtische Luftschadstoffeinträge oder durch verfrachtete Luftschadstoffe aus benachbarten Regionen belastet ist, ist mit dem vertikalen Luftaustausch auch ein nach unten gerichteter Frischlufttransport verbunden.

Konsequenzen und Ausblick

In Gebieten mit lokal erhöhtem Eintrag von Abwärme in die Stadtatmosphäre kann die nächtliche Abkühlung geringfügig reduziert sein. Es wäre aber energetisch falsch, den anthropogenen Wärmestrom für das Phänomen der städtischen Wärmeinsel verantwortlich zu machen. Das Problem der sommerlichen Wärmebelastung ist zudem nur in begrenztem Umfang von der Lufttemperatur abhängig. Am Tage, wenn die in Stadt und Umland gleichermaßen die höchsten Lufttemperaturen auftreten, haben die Menschen meist aktiv die Möglichkeit, das Ausmaß der Wärmebelastung zu beeinflussen, beispielsweise durch den Aufenthalt in kühleren (klimatisierten) Räumen, Schattenzonen, Parks oder Schwimmbädern. In der Nacht aber ist man der Wärmebelastung im Bett passiv ausgesetzt und hat nur begrenzte Möglichkeiten, durch Kleidung oder dem Öffnen der Fenster Linderung oder Abhilfe zu schaffen. Neben der Temperatur ist in den Innenräumen die von den Zimmerwänden ausgehende Wärmestrahlung sowie die Durchlüftung (Ventilation) ausschlaggebend für den Grad der körperlichen Beeinträchtigung. Geringfügig höhere Windgeschwindigkeiten können bei ansonsten gleicher Lufttemperatur die Wärmebelastung spürbar verringern (aus diesem Grunde gibt es Ventilatoren). In Städten ist das Risiko der sommernächtlichen Wärmebelastung somit nicht allein aufgrund des städtische Wärmeinseleffekts, sondern vor allem aufgrund der reduzierten Windgeschwindigkeiten und der damit verbundenen reduzierten bodennahen Durchlüftung deutlich erhöht.

In der Stadtplanung finden zunehmend nicht nur lufthygienische, sondern auch klimatische Aspekte Eingang in städtebauliche Überlegungen. Im Falle größerer Einzelbaumaßnahmen gilt dies sogar für die Objektplanung. Die Bewertung der klimatischen Gegebenheiten sowie der zu erwartenden Auswirkungen städtebaulicher Entwicklungen setzt voraus, dass die naturwissenschaftlichen Grundlagen hinreichend bekannt sind. Dies ist aber bis heute häufig nicht der Fall, insbesondere in Bezug auf die klimatischen Auswirkungen räumlich ausgedehnter, heterogener Stadtstrukturen. Einzelne Gebäude und Straßenschluchten oder gleichförmig strukturierte Stadtquartiere lassen sich hingegen in numerischen Simulationsmodellen bereits gut nachbilden. Es ist zu erwarten, dass mit Hilfe neuer Messverfahren (Abbildung 3) sowie weiterentwickelter numerischer Simulationsmodelle in den kommenden Jahren weitere, bedeutsame Erkenntnisse zum Thema „Stadtklima“ gewonnen und für die Anwendung zur Verfügung gestellt werden.


Prof. Dr. Dieter Scherer
Fachgebiet Klimatologie
Technische Universität Berlin


     Die Redaktion Umwelt, am 14. November 2005 – ugii Homepages –