Umweltpanorama Heft 10 (November 2005) zur Liste | home

Vorreiter am Rand der Republik

Über die ökologische Modellstadt Ostritz

Zwei Jahre hielten die Betriebe unter den Bedingungen der freien Marktwirtschaft durch. Die ansässige Industrie hatte nach dem Zusammenbruch der DDR keine Chance. Dann: Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Und nun? Die Bürger stellten ihre Stadt vom Kopf auf die Füße. Machten Pläne, vom Kanalnetz bis zum Bebauungsplan. Auch eine Studie zum Energiebedarf wird in Auftrag gegeben. Neubeginn im so genannten „Schwarzen Dreieck“.

Ostritz, die 3000 Seelengemeinde, gelegen in der Oberlausitz zwischen Görlitz und Zittau in Nachbarschaft zu Polen und Tschechien, hat die Kurve gekriegt. Und sie setzten da an, wo es am meisten zu verändern gab. Ungeklärte Altlasten, Waldsterben, Luftverschmutzung: Lässt sich das irgendwo besser begreifen als hier, am Zipfel von Sachsen? Rundherum dicke Wolken aus Staub, Ruß und Schwefel gelb-giftig aus gigantischen Schloten und die Neiße, die mitten durch den Ort wabert, ein ungenießbarer Abwassercocktail, zusammengemixt von der Textilindustrie flussauf- und flussabwärts.

Die von Schadstoffen geplagten Ostritzer beschließen, die alten Staustufen der Neiße wieder zu aktivieren, um Strom zu erzeugen. Damit kommt ein Stein ins Rollen. Wenn das Kloster Sankt Marienthal in Ostritz, in dem seit über 770 Jahren Zisterzienserinnen leben, einen ertragreichen Weinberg hat – dann muss ja wohl genügend Sonne da sein, um Energie zu gewinnen. Und warum soll man nicht die böhmische Brise und den nachwachsenden Rohstoff Holz nutzen, um Ostritz Licht und Wärme zu geben?

Inzwischen versorgen vier Windräder, zwei Staustufen der Neiße, unzählige Solardächer und ein Biomasseheizkraftwerk den Ort mit Strom und Wärme aus erneuerbaren Energiequellen. Das Abwasser wird in einer Pflanzenkläranlage auf einem Hügel über dem Kloster sauber. Der Wald, der noch bis 1990 zu achtzig Prozent geschädigt war, ist aufgeforstet. Selbst aus Pflanzenöl wird in Ostritz Strom.

Blockheizkraftwerk in Ostritz

Blockheizkraftwerk in Ostritz. Ohne die Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt wäre das nicht möglich gewesen (Foto: DBU)

Das Herz der energieökologischen Modellstadt schlägt in der Nähe des Bahnhofs. Hier steht das Biomasseheizkraftwerk mit seinen Spezialfiltern, aus dem die Wärme durch Fernleitungen unter Asphalt und Pflastersteinen in die Haushalte kriecht. Unscheinbar, klein und fast unecht: ein Kraftwerk ohne Lärm und Dreck. Gerade mal drei Männer überwachen den Betrieb. Holz hat Hochkonjunktur im Zittauer Gebirge. Die Forstwirte liefern regelmäßig Abfälle, aus den Schreinereien und Sägewerken der Umgebung kommen ganze Lkw-Ladungen. 270 Haushalten liefert das Biomasseheizkraftwerk Wärme und Warmwasser. Neben den zwei Holzkesselanlagen gibt es ein mit Pflanzenöl betriebenes Blockheizkraftwerk und einen Ölkessel, der mit Heiz- oder Pflanzenöl gefeuert wird und einspringt, falls das Holz mal nicht ausreicht.

Und inzwischen macht die energieökologischen Modellstadt Schule; in der Umgebung wachsen Nachahmerprojekte heran.

Dennoch: Ostritz ist noch nicht über den Berg. 120 Dauerarbeitsplätze haben der Ausbau zur Modellstadt und die Einrichtung eines Internationalen Begegnungszentrums (IBZ) im Kloster Sankt Marienthal gebracht, doch das reicht nicht. Die Grundschule musste mangels Schülern geschlossen werden und die Mittelschule könnte folgen. Aber Ostritz wäre nicht Ostritz, wenn es sich so leicht unterkriegen ließe. Gemeinsam mit der polnischen Nachbarstadt jenseits der Neiße hat die Stadt ein Konzept für eine Grundschule umgesetzt, an der deutsche und polnische Schüler gemeinsam lernen sollen. Der Clou: Umweltschutz soll auf dem Stundenplan stehen.

Inzwischen hat sich aber herumgesprochen, dass es im Neißetal romantisch ist. Immer mehr Radwanderer aus Deutschland, den Niederlanden oder Skandinavien kommen in die Region. 15 000 Übernachtungen verzeichnete allein das Kloster Sankt Marienthal im vergangenen Jahr. Viele der Gäste kehren zurück: In der Oberlausitz herrscht kontinentales Klima, die Sommer sind warm, im Winter lockt der Schnee im Zittauer- und im Isargebirge. So können die typischen historischen Umgebindehäuser nach und nach auf Vordermann gebracht werden.

Kurz: Ostritz putzt sich heraus – hier geben sich Menschen nicht auf.


Astrid Deilmann
Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Osnabrück


     Die Redaktion Umwelt, am 14. November 2005 – ugii Homepages –