Umweltpanorama Heft 9 (August 2005) | zur Liste | home | |||||
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Umwelt, Psyche und Ernährung |
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Seit dem zweiten Weltkrieg ist die Häufigkeit der chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) in allen westlichen Industrieländern deutlich gestiegen. Gegenwärtig leiden in Deutschland schätzungsweise 300 000 Menschen an Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Die Ursache der Erkrankung ist nach wie vor ungeklärt. Begünstigende Faktoren bei der Entstehung der Erkrankung scheinen aus lebensstilistischer Sichtweise der zunehmende Verzehr von raffinierten Kohlenhydraten und Weißmehlprodukten, der deutlich geringere Ballaststoffkonsum sowie der Ersatz von Muttermilch durch Kuhmilch bei Säuglingen. Weitere Überlegungen basieren auf der Zunahme der chemisch aufbereiteten Speisefette (vor allem Margarine). Beweise für eine mögliche Rolle von Ernährungsfaktoren als Ursache der Erkrankungen konnten bisher jedoch nicht erbracht werden. Andere Hypothesen, die den Lebensstil mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen verbinden zielen auf die Hygiene im weitesten Sinne. So soll ein hoher Hygienefaktor in der Kindheit das Risiko einer späteren Manifestation des Morbus Crohn erhöhen. Des weiteren wird angenommen, dass ältere Geschwister, die Infektionen aus Kindergarten beziehungsweise Schule mit nach Haus bringen, die jüngeren Geschwister gegen späteres Auftreten des Morbus Crohn schützen. Die Aussagekraft dieser Hypothesen muss in Zukunft weiterhin geprüft werden. Umwelt Ein Umweltfaktor, der für die Entstehung chronisch entzündlicher Erkrankungen verantwortlich ist, wurde bisher noch nicht gefunden. Bei den Wollkopfäffchen, die ihren natürlichen Lebensraum in den Wäldern Zentralafrikas haben, entwickelten viele in Gefangenschaft eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Seit vielen Jahren gibt es auch Hinweise auf einen Nord-Süd-Gradienten Europas bezüglich Zunahme des Morbus Crohn. Es spielen demnach Umweltfaktoren eine Rolle, die in Nord-Europa eher auftreten als in Südeuropa. Ähnliche Daten gibt es bereits auch für Asien und Südamerika. Obwohl Gene nachweislich eine wichtige Rolle bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen spielen, werden Art und Umfang dieser Rolle durch die Umwelt beeinflusst. Umfangreiche Beobachtungen deuten darauf hin, dass genetische Einflüsse und Umwelteinflüsse starke und unabhängig voneinander wirkende Ursachen für die Entwicklung der Erkrankung sind, die sich zudem gegenseitig verstärken können. Dieser Synergieeffekt erfordert die Wechselbeziehung von genetischer Empfänglichkeit, Auslösern aus der Umwelt und einer dauerhaften Stimulation der körpereigenen Immunabwehr durch Darmbakterien. Psyche Wissenschaftler, Ärzte und Patienten sehen einen Zusammenhang zwischen Stress sowie der Anbahnung und Aufrechterhaltung der CED. Chronischer, als Belastung wahrgenommener Stress steht mit dem Wiederaufflammen von Krankheitssymptomen und Entzündungen der Darmschleimhaut im Zusammenhang. Tierexperimente zeigen, dass Stress bei der Initiierung und Reaktivierung der Erkrankung eine Rolle spielen kann. Die Durchlässigkeit des Darmes und damit verbundene Durchfälle, aber auch die Schleimabsonderung kann durch Stress erhöht werden. Dieser trägt schließlich auch zu einer Zunahme der Anhaftung von Bakterien an der Darmschleimhaut und zu einer Verringerung probiotischer Lactobazillen bei, die die Darmschleimhaut positiv die beeinflussen. Die Mehrheit der Patienten empfindet psychischen Stress als krankheitsmodulierend. Der Krankheitsverlauf selbst birgt Probleme in sich, die sich im seelischen (Ängste, Depressionen), zwischenmenschlichen (sexuellen) oder sozialen (beispielsweise am Arbeitsplatz) Bereich äußern. Diese Probleme treten bei 5 bis 40 Prozent der Erkrankten auf. Nach Angaben der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) sind 10 Prozent der Patienten mit Morbus Crohn und 7 Prozent der Patienten mit Colitis ulcerosa in psychotherapeutischer Behandlung. Seelische Faktoren beeinflussen neben der Intensität und Ausdehnung der Entzündung auch den Krankheitsverlauf. Depressive Krankheitsbewältigung (Resignation, Grübeln, Rückzug) geht mit einem verlängerten Krankheitsschub einher. Die aktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung (Informationssuche, kämpferische Einstellung, Austausch mit Anderen) wirkt sich positiv auf eine Verkürzung des Schubes und einem besserem medizinischen Befund in der Remissionsphase aus. Ernährung Das Ziel der Ernährung bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist, den Bedarf an Energie und Nährstoffen zu decken beziehungsweise isolierte Nährstoffdefizite auszugleichen. Eine bestmögliche Deckung des Energie- und Nährstoffbedarfs bei Kindern für optimales Wachstum ist zwingend erforderlich. Allgemeine Diätempfehlungen für Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa gibt es nicht. Seit den 70er Jahren wurde eine so genannte Darmschonkost oder Colitis-Diät auf Basis eines Schonkostprinzips verordnet. Der therapeutische Effekt wurde nie bewiesen. Die Patienten müssen für sich selbst herausfinden, was sie gut vertragen und was nicht. Wer weiß, welche Nahrungsmittel er nicht verträgt, kann eine unnötige Reizung und Beeinträchtigung des Verdauungstraktes vermeiden. Verläuft die Erkrankung ohne weitere Komplikationen, wird derzeit die Leichte Vollkost mit folgenden Merkmalen empfohlen:
Patienten mit CED werden häufig Präparate mit Fischöl- oder Nachtkerzenöl in Form von Gelatinekapseln angeboten, die omega-3-Fettsäuren beziehungsweise gamma-Linolensäure enthalten. Das Besondere an diesen mehrfach ungesättigten Fettsäuren ist, dass sie die Synthese der so genannten Eicosanoiden (Signalstoffe der Entzündung) beeinflussen. Die Synthese des Signalstoffes Leukotrien B4, welches vermehrt in der entzündeten Schleimhaut gebildet wird, sinkt durch die omega-3-Fettsäuren. Bisher wurden zahlreiche Studien durchgeführt mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Durch Gabe von fünf Gramm omega-3-Fettsäuren ließ sich der Schweregrad der Erkrankung bei Patienten mit Colitis ulcerosa vermindern. Ein eindeutiger Beweis für einen Einsatz dieser Supplemente liegt dennoch nicht vor. Patienten mit CED zeigen häufig ein Defizit an essenziellen Nährstoffen, insbesondere an Folsäure, Vitamin A, D, B12, Eisen, Zink, Selen aber auch an Proteine. Dieser kann durch eine inadäquate Zufuhr oder durch die erkrankungsbedingt verminderte Aufnahme durch den Darm entstehen. Auch Pharmaka können Nährstoffmangel hervorrufen: Prednisolon, ein Cortisonpräparat, begünstigt die Entwicklung eines Zink-, Vitamin C-, B6-Mangels und vermindert die Knochendichte; Sulphasalazin (ein Sulfonamid, kombiniert mit 5-Aminosalicylsäure) über Monate/Jahre verabreicht, fördert einen Folsäuremangel, Colestyramin reduziert als Lipidsenker auch die Absorption von fettlöslichen Vitaminen und Antibiotika verändern den Vitamin-K-Status.
Eine spezielle Ernährungstherapie sollte begonnen werden, wenn ein Mangelzustand vorliegt, gleichgültig, ob es sich um eine generelle Mangelernährung (starke Gewichtsabnahme) oder einen spezifischen Mangel (Vitaminmangel) handelt. Die Ernährungsberatung sollte der erste Schritt einer Ernährungstherapie sein. Darauf aufbauend folgen die zusätzliche Ernährung durch Trinknahrung, Sondennahrung und letztendlich parenterale Ernährung (eine Form der künstlichen Ernährung unter Umgehung des Verdauungstraktes). Vor allem bei Kindern verbessert eine zusätzliche Trinknahrung den Ernährungszustand. Wenn aber langfristig, das heißt länger als sechs Monate Steroide verabreicht werden, sollte Vitamin D zusätzlich aufgenommen werden. Ernährung in Remission Eine spezielle Diätform zur Erhaltung der Remission, also die Verhinderung des Auslösens eines akuten Entzündungsschubes, gibt es bislang nicht. Die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalles (Rezidivs) nach Beendigung der Ernährungstherapie mit Trink- oder Sondennahrung liegt bei zirka 40 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Die häufig propagierte zuckerarme, ballaststoffreiche Kost hat keinen positiven Einfluss auf die Rezidivrate. Ernährungstherapeutische Maßnahmen (Einsatz oraler Trinknahrung) zeigen einen Erfolg mit Verbesserung des Ernährungszustands (Zunahme des Körpergewichts und der Körperzellmasse), der Symptomatik und Lebensqualität. Allgemein sollten individuelle Nahrungsmittelunverträglichkeiten beachtet werden. Lebensmittel, die häufig einen Schub auslösen, sind: Weizenprodukte, Kaffee, Süßwaren, Alkohol und Zitrusfrüchte. Mittelkettige Fettsäuren, die MCT-Fette, kommen bei Fettstoffwechselstörungen zum Einsatz. Besonders ballaststoffhaltige Lebensmittel sollten bei Darmstenosen (Darmverengung) gemieden werden. Ernährung im akuten Schub Während eines akuten Schubes ist der Bedarf an Energie und Eiweiß erhöht. Der Flüssigkeitsbedarf ist abhängig von Verlusten des Verdauungstraktes. Häufig kleinere Mahlzeiten verbessern während eines akuten Schubes die Aufnahme der Nährstoffe im Darm. In dieser Erkrankungsphase werden beim Morbus Crohn häufig bilanzierte Diäten als Sonden- und Trinknahrungen eingesetzt. Die Sondennahrungen sind wirksam bei Schüben mittlerer und hoher Aktivität, aber bei erwachsenen Patienten, eingesetzt als Monotherapie, weniger wirksam als Steroide. Die Remissionsrate unter steroidbehandelten Morbus Crohn Patienten liegt bei 85 Prozent, unter Ernährungstherapie bei 58 Prozent. Besonders bei Kindern mit Mangelernährung und Wachstumsstörungen besteht die Indikation zur Sondenernährung, die hier der Steroidetherapie gleichgestellt ist. Ein günstiger Effekt zur Beeinflussung des akuten Entzündungsschubes und der Remissionserhaltung durch bilanzierte Diäten ist bei der Colitis ulcerosa nicht gesichert. Wichtig sind Maßnahmen zur Korrektur des Ernährungsdefizits und deren Folgen: Behandlung der Anämie, Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes, Eisen-, Folsäure- und/oder B12-Mangel. Während eines akuten Schubes sollte eine bedarfsgerechte ballaststoffarme Ernährung eingesetzt werden. Eine zusätzliche Trinknahrung wird als sinnvoll erachtet. Eine Ernährung über Sonden erfolgt nur in Ausnahmefällen. Susanne Hengstermann und Lennart Schaper |
Die Redaktion Umwelt, am 15. August 2005 | ugii Homepages |