Umweltpanorama Heft 8 (Mai 2005) | zur Liste | home | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
PM10 ein Fass ohne Boden? Die neue Feinstaub-Richtlinie als Startschuss für eine längst überfällige Debatte |
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Seit Anfang des Jahres ist die Feinstaubproblematik populär geworden wie nie zuvor. Insbesondere in den letzten Wochen, nachdem in den ersten bundesdeutschen Städten die Zulässigkeitsgrenzen nach der neuen Feinstaub-Richtlinie überschritten wurden. Warum ist Feinstaub, also PM10 so interessant, dass komplizierte Messmethoden entwickelt wurden und das Umwelt- und Gesundheitswesen seit Jahrzehnten politisches Handeln forderte? PM10 ist das Kürzel, das für particulate matter steht. Das sind mikroskopisch kleine Teilchen, deren mittlerer Durchmesser weniger als zehn Mikrometer beträgt und somit für das menschliche Auge unsichtbar sind. Das eigentlich besondere aber ist, dass es sich um lungengängigen Staub handelt, um Partikel also, die tief in die Atemwege vordringen können.
Über die gesundheitliche Bedenklichkeit von lungengängigen Asbestpartikeln oder vom Feinstaub im Zigarettendunst sind wir alle in den 1980er und 1990er Jahren aufgeklärt worden. Und jetzt kommt der Rundumschlag. Denn überall dort, wo es raucht und staubt, ist auch PM10 dabei. Zur Richtlinie Kein Wunder, dass noch vor Ostern die Grenzen der Belastbarkeit, wie sie in der Feinstaub-Richtlinie (EU-Tochterrichtlinie 1999/30/EU) definiert sind, überschritten wurden. Und man braucht nicht viel Fantasie um sich vorstellen zu können, dass bis zum Ende des Jahres in vielen Regionen Deutschlands der täglich zugelassene Spitzenwerte von 50 Mikrogramm Feinstaub öfters als 35 mal (ab Januar 2010 nur noch 7 mal) überschritten oder sein Jahresdurchschnitt über 40 Mikrogramm pro Tag (20 Mikrogramm pro Tag ab Januar 2010) erreicht wird. In Deutschland und überhaupt in den Industrienationen ging in jüngster Zeit die Gesamtbelastung der Luft mit Staub zurück. Doch es ist nicht der Feinstaub der aus den Schloten ausgefiltert wird. Ganz im Gegenteil, die Anzahl der Partikel steigt eher an. Nur sind die Partikel jetzt kleiner viel kleiner; vielfach nur noch im Bereich von einigen Nanometern. Doch gerade die kleinsten Partikel tragen zur größten gesundheitlichen Besorgnis bei. Und diese Partikel machen an Masse nicht mehr viel aus. Die Herabstufung des Grenzwertes von 150 auf 40 Mikrogramm im Jahresmittel ist daher mehr als gerechtfertigt. Es ist deswegen nicht unwichtig, die technische Realisation zur Messung der Partikel dem Trend anzupassen. Für die Erfassung und Beurteilung der Feinstaubexposition ist daher das Messnetz und das Messverfahren durch die genannte Richtlinie wohl definiert. Es gibt viele Verfahren zur Messung von Partikeln, sowohl größen- als auch mengenmäßig und ebenso deren chemischen Zusammensetzung. Angefangen von einfachen Filtern, über Schwingquarze bis hin zu Flugzeitmassenspektrometern. Gemäß der Richtlinie kam das physikalisch einfachste Prinzip zum Tragen. Ein System aus Filtern. Die aufgefangene PM10-Fraktion wird ausgewogen und somit das Gewicht des Feinstaubs aus einer definierten Luftmenge gemessen (gravimetrische Massenbestimmung). Zusätzlich kann der Filterinhalt einer physikalischen oder chemischen Analyse unterzogen werden, um die Feinstruktur und chemische Beschaffenheit des Feinstaubs zu ermitteln. Dieser Schritt ist jedoch in der Richtlinie nicht explizit gefordert. Wenn auch der Teufel im Detail steckt und im Falle des Feinstaubs sogar von entscheidender Bedeutung ist, reicht die mengenmäßige Erfassung aus, um das Maß der Luftbelastung abzuschätzen. Denn exotisch sind die Partikel nicht, wenn man von neueren Entwicklungen einmal absieht 1) . Aber man muss wissen, woher die unsichtbaren Teilchen kommen, wie sie zusammengesetzt sind, wie sie die Atmungsorgane passieren und was die Luft-Blut-Schranke nicht zurückhalten kann. Staubige Atmosphäre Die Erde war noch nie frei von Staub. Seesalzpartikel, Vulkanstaub, Flugasche durch Waldbrand oder durch Wind aufgewirbelte Mineralstäube, Bakterien und Sporen stellten schon immer eine gewisse Belastung der Luft dar. Dieser Staub ist Bestandteil des atmosphärischen Hintergrund-Aerosols und seine Zusammensetzung entspricht im wesentlichen der Zusammensetzung der Erdkruste. Aerosole sind Schwebstoffe, die von der Luft weit getragen werden, wie Laubblätter im Herbstwind. Eine beeindruckende Illustration ist der Wüstensand Afrikas, dessen kleinste Partikel bis in die südlichen Länder Europas getragen wird und die Schneefelder in den Höhenlagen rot färbt. Andererseits sind Inversionswetterlagen in Ballungsgebieten besonders kritisch, da die Schwebstoffe wie in einem Kessel am Entstehungsort in hoher Konzentration vorharren. Feinstaub, also PM10, definiert sich als feines Feststoffaerosol, dass wie erwähnt tief in die Lunge eingeatmet werden kann. Im Gegensatz dazu passiert Grobstaub nicht die erste Abwehrbarriere des Atemsystems, den Nasen-Rachen-Raum, sondern bleibt dort hängen und wird durch Schleim ausgeschieden. Zudem verweilt Grobstaub eher kurz in der Luft und ist stark ortsgebunden.
Die durchschnittliche Lebensdauer eines Feinstaubpartikels liegt bei etwa vier bis sechs Tagen. Während dieser Zeit stoßen die Schwebteilchen untereinander, aber auch mit gasförmigen Luftteilchen häufig aneinander und ballen sich zu größeren Partikeln zusammen (Koagulation). Mit zunehmender Größe reduziert sich deren Schwebecharakter und damit die Verweilzeit in der Luft (Sedimentation). Der wichtigste Prozess zur Begrenzung der Lebensdauer des Feinstaubs ist jedoch deren Ausscheidung durch Regen. Gegen den natürlichen atmosphärischen Hintergrundstaub ist der Atmungstrakt evolutiv bedingt gewappnet. Der vorwiegend in Städten und Industriezentren produzierte anthropogene Staub, besteht vorwiegend aus Feinstaub und das ist das Bedeutende an der Feinstaubrichtlinie. Zum Schutz von Umwelt und Mensch richtet sie sich gegen das vom Menschen selbst verursachte Aufkommen. Ähnlich wie die natürlichen luftgetragene Partikel, sind die Entstehungszentren des häuslichen und industriellen Feinstaubs die Abgase von Verbrennungsprozessen aller Art, vom Abrieb gegeneinander bewegter Teile (Metallverarbeitung, Reifen) oder Mineralstaub beispielsweise beim Schüttgutumschlag. Doch die chemische Charakteristik des Feinstaubes hat sich geändert. Bestand in vorindustriellen Zeiten der mineralische Feinstaub auf der Basis von Kalzium oder Silizium aus Krustenmaterial und Sand, so sind heute Blei, Eisen, Cadmium oder Arsen übliche Komponenten. Aber nicht nur die elementare Zusammensetzung hat sich geändert. Synthetische Polymere (Autoreifen), keramische Materialien (Komposite) bis hin zu nanotechnologischen Partikel und gentechnisch veränderten Mikroorganismen sind Bestandteil des heutigen und künftigen Feinstaubs. Auch der Ruß, chemisch gesehen ist das Kohlenstoff, aus den Verbrennungsprozessen ist nicht mehr das, was er einmal war. Heute enthält er polyaromatische Kohlenwasserstoffe (viele der so genannten PAKs gelten als krebserregend), Cyclopentenpyren aus Autoabgasen oder Picen und aromatische Thiophene aus Brennstoffen wie Braunkohle oder Dieselöl. Doch diese Stoffe bilden selbst keinen Feinstaub sie haften an den aerosolen Trägerpartikeln und sind dadurch Bestandteil der Partikel. Die Partikel und ihre Oberfläche Feinstaub trägt also eine zusätzliche chemische Fracht mit sich, die häufig aus flüchtigen Umweltgiften besteht oder es werden an sich harmlose Stoffe zu Umweltgiften an der Partikeloberfläche katalysiert. Im Gegensatz zu ihrer freien Form, in der sie in der Umgebung ihres Entstehungsortes niederschlagen, können sie nun weit fort getragen werden. Das hat zur Konsequenz, dass auch ländliche Regionen vom Feinstaub mehr betroffen sind, als von Luftschadstoffen, wie beispielsweise Schwefeldioxid 2) , deren wesentliche Massen auch in Ballungsgebieten entstehen. Je feiner der Staub umso größer ist seine Oberfläche im Verhältnis zur Masse. Denn beispielsweise auf 50 Mikrogramm der Feinstaubfraktion zwischen 10 und 2,5 Mikrometer haftet (adsorbiert) nur ein Bruchteil dessen was auf 50 Mikrogramm der Fraktion kleiner 2,5 Mikrometer adsorbieren kann. Je feiner der Staub, umso größer die Belastung mit Umweltschadstoffen. Hinzu kommt, dass auf der Oberfläche der Partikel die adsorbierten Schadstoffe und Gase miteinander reagieren können. So werden im Feinstaub häufig Nitrate und Sulfate nachgewiesen, die so nicht frei in der Luft vorkommen. Solche katalytisch bedingte Reaktionen auf der Oberfläche des Feinstaubs haben damit wesentlichen Anteil an der Schädlichkeit des Feinstaubs im allgemeinen. Doch der entscheidende Punkt ist, dass die Feinstaubpartikel mit dem Gewebe der Lunge über ihre Oberfläche in Kontakt treten. Da die Oberfläche der Partikel anders zusammengesetzt ist als deren Volumen (Bulk) muss die Reaktivität, sprich die Toxizität zunächst durch die Oberflächenzusammensetzung definiert sein. Erst im zweiten Schritt gewinnt das Volumenmaterial des Partikels an Bedeutung. Beide, sowohl die Oberflächen- als auch die Volumeneigenschaften des Feinstaubs können unterschiedliche Wirkungen im Organismus haben. Das hat zwei Konsequenzen zur Folge. Erstens können die Oberflächenkomponenten des Partikels eine schnelle Wirkung zeigen, während die Volumenkomponenten, deren Auflösung mehr Zeit in Anspruch nimmt, eine zeitlich verzögerte Wirkung aufweist. Zweitens, dass die Oberflächenzusammensetzung gleicher Feinstaubteilchen in unterschiedlicher Umgebung unterschiedliche Schadwirkungen hervorruft; das heißt die Oberflächenzusammensetzung von beispielsweise Ruß als Feinstaub vom Lande anders ist als jene in den Städten. Die Belastung der Umwelt mit anthropogenen Feinstaub kann also für Pflanzen und Tiere, eine ernstzunehmende Beeinträchtigung ihres gesunden Lebens sein. Im folgenden soll das am Beispiel Mensch erläutert werden. Der Atmungstrakt Wie schon erwähnt ist Feinstaub lungengängig. Das heißt, das die Partikel bis tief in die Lunge vordringen. Aber die Atmungswege sind gleichzeitig auch eine Barriere: Sie filtern die Partikel nach ihrer Größe. Nach dem Nasen- und Rachenraum folgen die Feinstaubpartikel dem Atmungstrakt über Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien, Bronchiolen bis hin zu den Lungenbläschen. Sie werden vom Luftstrom mitgerissen. Doch nicht alle Teilchen werden vom Luftstrom gleichartig getragen. So passieren Partikel mit einem mittleren Durchmesser bis etwa fünf Mikrometer kaum noch den Kehlkopf geschweige den Luftröhre oder gar Bronchien.
Nur die kleineren Teilchen können die Verzweigungen der mittleren Lungenwege passieren. Die Größeren haben mehr Masse und damit ein größeres Trägheitsmoment und geraten so aus der Bahn des Luftstroms, die durch die Lungenarchitektur vorgegeben ist, wenn sie die Richtung ändert. Die Partikel bleiben an den Bronchien oder spätestens in den Bronchiolen hängen (Impaktion). Zudem verliert der Luftstrom an Geschwindigkeit, je weiter sich die Wege verzweigen und je tiefer er in die Lunge vordringt. Das bedingt, dass die nächst leichteren Partikel in den Bronchiolen sedimentieren. Nur die kleinsten Partikel mit einem mittleren Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer, die von der Luft, infolge der Stöße mit dem Luftmolekülen, getragen werden, erreichen die Lungenbläschen. Dort geht die Flussgeschwindigkeit der Luft gegen Null und die Partikel diffundieren an jene Zellen, die die Atmung und damit Versorgung des Körpers mit Sauerstoff ermöglichen. Die Abscheidungscharakteristik der Partikel ist durch ihre Größe und Fluggeschwindigkeit in der Lunge nur schwer zu definieren. Die Erkenntnisse darüber stammen meist aus Tierversuchen. Doch die Lungenarchitektur jeder Spezies ist so verschieden, dass es fragwürdig ist, ob die Abscheidungsgrade, wie sie im Tierversuch ermittelt wurden, auf den Menschen übertragbar sind. Schon der Nasenraum von Nagetieren unterscheidet sich so stark vom Menschen, das bei diesen Tieren ein Großteil der Partikel schon dort abgelagert wird. Erst mit künstlichen Modellen, wie sie beispielsweise auch für Tests zu Bronchialsprays verwendet werden, konnten grobe, aber zuverlässigere Vorstellungen entwickelt werden, wie sich die Teilchengrößen in der Lunge verteilen. Dies hat insofern Bedeutung, da die unterschiedlichen Regionen des Atmungstraktes verschiedene Eigenschaften zu Bereinigung von Schwebstaub haben. In der bronchialen Region sind es die Flimmerhärchen, die die Teilchen zum Rachen hin transportieren. In den Lungenbläschen jedoch muss das Immunsystem die Reinigung übernehmen, wobei hier Fresszellen wie Makrophagen eine wesentliche Rolle zukommt. Doch der Weg der Partikel, welche bis in die Lungenbläschen vorgedrungen sind, ist noch nicht vorbei. Denn deren Ausscheidung kann nur noch über die Blutbahn gelingen; andererseits verbleiben sie für immer an den porösen Wänden der Lungenbläschen haften oder werden in den alveolen Zellen eingebettet. Mit der Überwindung der Luft-Blut-Schranke, ganz gleich welche Veränderungen die Partikel durch die alveolen Zellen und Makrophagen erlitten haben, werden die Stoffe, die diese Partikel mit sich bringen in die Blutbahn geschleust. Damit sind alle Organe, einschließlich die systemischen Funktionen des Körpers, für diese Eindringlinge zugänglich. Dr. Heinz Wohlgemuth Anmerkungen 1) Standardisierte Verfahren für die so genannten Ultrafeinen Partikel sind noch in der Entwicklung aber in der Richtlinie schon vorgesehen. Dies betrifft vor allem die PM2,5-Fraktion, also Partikel mit einem mittleren Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer, die bis in die Lungenbläschen, den Alveolen vordringen und die Luft-Blut-Schranke überwinden können 2) Die Grenzwerte von Schwefeldioxid, als auch von Stickoxiden oder Blei sind deswegen ebenfalls in der Feinstaub-Richtlinie definiert. Andere übliche Luftschadstoffe sind in den Tochterrichtlinien 2000/69/EG für Benzol und Kohlenmonoxid und 2002/3/EG für Ozon geregelt |
Die Redaktion Umwelt, am 17. Mai 2005 | ugii Homepages |