Umweltpanorama Heft 7 (Februar 2005) zur Liste | home

Die Erschöpfung der Erdölreserven

Innovationen für die Wirtschaft und die Befreiung der Natur von der Verseuchung des 20sten Jahrhunderts

Öl wird uns oft ins Bewusstsein zurückgerufen. Zuletzt mit hohen Preisen, davor durch die Havarie der Prestige vor der spanischen Nordküste und so weiter. Während Tankerunfälle den Bezug zur Umwelt deutlich erkennen lassen, scheint die Sache mit dem Preis zunächst weniger umweltrelevant. Aber ein hoher Ölpreis schiebt Innovationen an, mit denen alternative Stoffströme sowie Energiequellen und Antriebstechniken marktreif werden und damit ein wirtschaftlicher Aufschwung zu erwarten ist. Gleichzeitig würde unsere Natur in erheblichen Maßen entlastet. Aus ökonomischen wie ökologischen Gründen wäre also das Ende vom Erdöl eher ein Segen als ein Rückschritt in eine vorindustrielle Zeit.

Die Energie- und Rohstoffquelle Nummer eins hat uns einen technischen Fortschritt gebracht wie er nie zuvor da gewesen ist: bequeme Heizanlagen, erschwingliche Autos und der Straßenbau, Elektrotechnik für Haushalt und Arbeitsplatz und nicht zu vergessen die Chemie mit all seinen Syntheseprodukten, also petrochemische Rohstoffe für Buntes, Kosmetik, Landwirtschaft, Medizin, Textilien und Verpackungen.

Andere Facetten werden eher als hinnehmbare Begleiterscheinung wahrgenommen. Als da wären die Verseuchung von Wasser und Boden, die Vergiftung der Luft, beispielsweise durch Autoabgase (Sommersmog) oder nur scheinbar dichte Leitungen und Behältnisse (Benzintank), die Naturzerstörung durch Pipelines oder sein Verbrennungsprodukt Kohlendioxid als Treibhausgas und letztlich auch der petrochemische Müll, der biologisch nicht abbaubar und somit über Jahrzehnte, Jahrhunderte beispielsweise in Deponien haltbar ist.

Deswegen hat der Ölpreis eine große Bedeutung für die Natur und auch für die Umwelt eines jeden Individuums. Auf den Punkt gebracht heißt das: je höher der Ölpreis um so billiger sein alternatives, umweltschonendes Pendant.

Aber wann versiechen endlich die Ölquellen?

Rudolf Julius Clausius schrieb im Jahre 1885, dass „von jeder Sache nur soviel verbraucht werden darf, wie in gleicher Zeit davon wieder produziert werden kann“. Genau das, was heute unter dem Begriff nachhaltige Entwicklung verstanden wird. Clausius, der maßgeblich an fundamentalen Gesetzmäßigkeiten zur Thermodynamik beteiligt war, lebte zu einer Zeit, in der Erdöl noch nicht die heutige Bedeutung erlangt hatte. Aber seine Aussage zur Nachhaltigkeit ist heute noch genauso richtig wie seine thermodynamischen Gesetzmäßigkeiten 1) .

Damals, mit der ersten modernen Erdölbohrung im Jahre 1859 2) , waren es Spulöle oder Anilinfarben für die aufsteigende industrielle Textilindustrie und die ersten Motoren erlebte Clausius nur in ihren Anfängen 3) . Die Welterdölförderung lag etwas über 70 000 Tonnen im Jahre 1860 und stieg bis zur Jahrhundertwende, also für das Jahr 1900 auf etwa 20 Millionen Tonnen an. Im Jahre 1950 waren es dann über 500 Millionen Tonnen und weitere 50 Jahre später, zur Jahrtausendwende (2000) lag die Ölförderung weltweit bei 3600 Millionen (= 3,6 Milliarden) Tonnen.

Über hundert Jahre moderner Bohrkunst schien der limitierenden Faktor der fossilen Ressource Erdöl nur wenige zu interessieren. Einer dieser wenigen war der Geophysiker M. King Hubbert, der in den 1950er Jahren den Höhepunkt der US-amerikanische Ölförderung auf 1970 prognostizierte. Mittlerweile wissen wir, dass dies in der Tat im Jahre 1972 stattfand; dass heißt, dass die Ressourcen Nordamerikas in Ermangelung neuer signifikanter Erdölfunde allmählich leergepumpt werden und die Förderung der sandigen Öle wegen erschwerter Abbautechnik den jährlichen Bedarf an Erdöl nicht befriedigen kann.

In der Folge ging ein Aufschrei durch die ölfördernden und -verbrauchenden Länder bis hin in den Nahen Osten, was dazu führte, dass dort der Ölhahn freiwillig gedrosselt wurde. Als einer der ersten Reaktionen wurden daraufhin in der BRD die „berühmten“ autofreien Sonntage verordnet. Das war 1973.

Da bis Mitte der 1970er Jahre die meisten bedeutenden Erdölfelder gefunden und angezapft wurden, lagen die Berechnungen für die weltweiten Erdölreserven bis in die 1980er Jahre hinein bei weniger als 100 Milliarden Tonnen. Bei einer Förderung während dieser Zeit von etwa 2,7 Milliarden Tonnen pro Jahr, lagen deshalb die Prognosen für das Ende vom Erdöl ab Mitte der 1970er Jahre bei 36 Jahren. Das wäre also in etwa 2010 der Fall. Mittlerweile wissen wir, das dem nicht so sein wird.

Solche Prognosen über die Dauer der Verfügbarkeit (fachl.: Reichweite) ist eine fiktive Größe, die sich laufend nicht nur durch einen schwankenden Verbrauch, sondern auch durch die Entdeckung neuer Reserven ändert. Bis weit in das 20ste Jahrhundert hinein war es eher die Regel, dass sich die statistischen Reichweiten verlängerten anstatt durch den Verbrauch verkürzten. Deswegen lagen die optimistischen Prognosen (magische Reichweite, die die so genannten „nicht identifizierten Vorkommen“ einschließt) oft näher an der tatsächlichen Verfügbarkeit als die faktisch berechneten.

Mit den 1980ern und 1990ern schürfte man dann eher neues Sandöl, holte Öl aus der Tiefsee und zapfte alle, noch so kleinen Pfützen an, um das lukrative Geschäft vor dem drohenden Ausverkauf zu sichern. Doch die Förderung ist teuer oder die Qualität eher schlecht. Die Güte des US-amerikanischen WTI Öls (Jahresabschluss 2004: 43,20 $ pro Barrel), des britischen Nordseeöls Brent (39,90), mit ebenfalls rückläufiger Produktion und des Opec-Öls (37,72 $) ist damit nicht mehr zu erreichen. Doch die Reserven ließen sich damit auf 150 Milliarden Tonnen abschätzten. Setzt man das Jahr 2000 als Referenz, würden die weltweiten Ölreserven nach gut 40 Jahren versiechen (Friedrich-Wilhelm Wellmer in: Die Zeit Nr. 36, 26. August 2004; Deutsche Bank in: Der Tagesspiegel vom 3. Dezember 2004; Denis Babusiaux und Pierre-René Bauquis in: Le Monde Diplomatique, Januar 2005).

Zwar spannen die Vorhersagen einen Bogen zwischen optimistischen und pessimistischen Haltungen, der Zeitraum liegt hier zwischen 2020 und 2050, doch das Entscheidende ist: Der Zeitpunkt wird kommen.

Die drängende Frage ist deshalb: „Wie lange ist Öl noch bezahlbar?“.

Denn die Nachfrage nach Erdöl ist ungebrochen aber die Versorgungslage unsicher, wie auf dem 19. Kongress des Weltenergierats in Sydney (September 2004) die Ausgangslage analysiert wurde. Natürlich kann man heute mit den verrücktesten Techniken versuchen, jeden Tropfen Öl aus der Erde zu schürfen, doch wird das eher an Goldgräberkünste erinnern, mit denen ein paar Klümpchen Gold aus etlichen Kubikmeter Flusssand gewaschen wurde. Billiger wird die Ölproduktion damit nicht.

Mit dem Blick auf das Ende vom Erdöl bei mindestens gleichbleibender Wirtschaftskraft ließen sich beispielsweise drei Fälle beschreiben:

  1. Wachstum jetzt und um jeden Preis (nach dem Motto: Nach mir die Sintflut),

  2. geregeltes und damit gemäßigtes Wachstum (Verlust der freien Marktwirtschaft),

  3. Wachstum durch Innovation (die Standardregel der frühen Wirtschaftstheorie).

Zunächst sei hier vorangemerkt, dass der Begriff Wachstum im Grunde schon jetzt veraltet ist. Er erinnert an die wirtschaftliche Glorie des 20sten Jahrhunderts dessen Enkel zwar noch um sie kämpfen, aber eigentlich schon wissen, dass die eigenen Enkel, sofern überhaupt noch vorhanden, nur noch am angesammelten Überschuss partizipieren können.

Durch viele Schrauben lässt sich die Versorgung mit Waren und Energie optimieren, aber sicher nicht mit der Schraube der Vernunft. Der persönliche Vorteil, der erreichte Sozialstatus und der funktionelle Einfluss, alles wesentliche Eckpfeiler der Demokratie, werden nicht (gerne) aus der Hand gegeben. Das mag vielleicht nur für verhältnismäßig Wenige gelten, doch gerade die drehen wesentlich an den Schrauben der gesellschaftlichen Ordnung. Auch das ist ein Beispiel für psychologische Triebfedern die ein verstandesgemäßes Handeln, zumindest im Sinne von Nachhaltigkeit, dominieren – und das gilt für alle. Deshalb ist die freie Marktwirtschaft nicht geeignet, die Stoff- und Energieversorgung nachhaltig zu sichern. Aus dem selben Grunde muss auch heute noch das Prinzip „Wachstum um jeden Preis“ diskutiert werden 4) .

Als Beispiel für eine geregelte Versorgung ließe sich, zumindest mit Blick auf das Erdöl, der Staat Norwegen heranziehen. Dort wird seit Jahren ein Teil des geförderten Erdöls in Tanks deponiert – der Nachhaltigkeit wegen. Ähnliches fordert jetzt auch die Internationale Energieagentur 5) , indem sie die das Ölkartell Opec dazu drängt, das derzeitige Förderniveau beizubehalten, damit die Abnehmerstaaten Lagerbestände aufbauen können (taz, 21. Januar 2005). Der Druck zur Beständigkeit der Ölversorgung ist also schon da.

Hinsichtlich der Innovationen zur weltweiten Energieversorgung sind derzeit eher „technologische Utopien“ (Le Monde Diplomatique, Januar 2005) im Gange, wie die Kernfusion, die Brennstoffzellen (Kraft-Wärme-Kopplung) und moderne Kohleabbautechniken, einschließlich der Kohlendioxideinlagerung. Die Kernfusion bringt ähnliche Probleme mit sich wie die Kernspaltung, da das entstehende und zu endlagernde radioaktive Material ebenso eine Bombe auf Zeit ist. Die Brennstoffzelle mit Methan produziert auch das Treibhausgas Kohlendioxid und die Brennstoffzelle mit Wasserstoff wäre zwar ökologisch unbedenklich, aber der notwendige Wasserstoff ist in seiner Herstellung sehr energieintensiv, wodurch der energetische Nutzen sehr in Frage steht. Alle mit der Energiegewinnung durch Kohle verbundenen Innovationen sind in ökologischer Sicht eher zweifelhaft.

Doch ökologisch verträgliche Innovationen sind auch im kommen. Insofern ist der dritte Punkt eine interessante Herausforderung. Beispiele dafür wären die Ausweisung des Spritverbrauches bei Autos, Techniken zur Optimierung der Sonnenenergiegewinnung oder die vielen „kleinen“ Innovationen, die hin und wieder einmal als Zeitungsnotiz auftauchen und üblicherweise auf regenerative Stoff- und Energiequellen aufbauen. Ob diese regenerativen Rohstoffe das Stoff- und Energiebedürfnis stillen können, ist noch dahingestellt, denn sie wachsen nicht unendlich schnell.

Aber wer weiß schon, wie viel Erfindungsgeist geweckt wird, wenn nicht mehr ideelle Ziele verfolgt werden, sondern Notwendigkeiten zum Erhalt des gewohnten Lebensstils. Ein Potential, das mit dem Ende des Erdöls einen mächtigen Schub erhalten könnte. Schon heute sind auf politischer Ebene mit Blick auf die Innovationskraft Bestrebungen zu merken, die mit „Weg vom Öl“ auch einen Namen haben 6) .

Und was hat das alles mit Clausius und seinem Nachhaltigkeitsgedanken zu tun? Heute, mehr als hundert Jahre später ist die Ressource nicht mehr ein Naturgut sondern Ware – also ein umetikettierbares Produkt mit austauschbarem Inhalt. Ein Beispiel dafür wären die hochsubventionierten Solarfelder der Shell AG bei Leipzig. Und mal sehen wie lange es noch dauern wird, bis all die Mülldeponien angezapft werden um hochsubventioniert Stoffströme am laufen zu halten.

Sowohl chemische als auch energetische Technologien, die bisher im Rucksack des Erdöls getragen wurden, dürften in absehbarer Zeit deutlich modifiziert werden, sodass Erdöl auf lange Sicht nur noch für Spezialchemikalien und -fahrzeuge sowie Medikamente, also Produkte die auch für viel Geld gekauft werden, seinen Nutzen trägt. Damit wäre auch der Chlorchemie ( = Erdöl plus Kochsalz), das größte Umweltdesaster des 20sten Jahrhunderts, die mit PVC und Dioxin auch berühmte Namen hat, ein Stein in den Weg gestellt.

Dr. Heinz Wohlgemuth

Berliner Umweltagentur


Anmerkungen

1) Zu den bedeutenden Arbeiten Clausius (1822 - 1888) gehört die Formulierung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik, zeitgleich mit William Thomson (heute bekannt als Lord Kelvin), basierend auf der Arbeit von Sadi Carnot (1824). „Die Wärme kann nicht von selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen“ (Clausius, 1850). Dafür schuf der deutsche Physiker im Jahre 1854 den Begriff der Entropie. Eine wohl definierte Größe, die etwas mit Unordnung gemein hat und wohl deshalb von vielen gerne verbalisiert wird.

2) Die ersten Überlieferungen zum Erdöl (auch Erdpech) liegen weit vor unserer Zeitrechnung.

3) Der Prototyp des Ottomotors wurde im Jahre 1876 vorgestellt und der Dieselmotor wurde erst 1892, also nach Clausius Tod produktionsreif.

4) Wachstum ist natürlich ein relativer Begriff, das heißt aus individueller Position beobachtbar. Der Standpunkt des Unternehmers ist ein anderer, als der des Lohnempfängers. Ein Beispiel: Die Lohneinkommen des Jahres 2004 in Deutschland verharrten laut dem Statistischen Bundesamt auf dem Vorjahresstand. Angesichts der gestiegenen Konsumentenpreise verloren die Arbeitnehmer sogar rund 1,5 Prozent an Kaufkraft. Dagegen konnten Unternehmenseinkommen um 10,7 Prozent zulegen – die höchste Wachstumsrate seit der Wiedervereinigung.

5) Internationale Energieagentur (IEA); die Behörde wurde von den OECD Ländern in den Nachwehen der Ölschocks der 70er Jahre gegründet.

6) Siehe dazu auch die Beiträge in unserem letzten Heft 6 zur Energieversorgung.


     Die Redaktion Umwelt, am 14. Februar 2005 – ugii Homepages –