Umweltpanorama Heft 6 (November 2004) | zur Liste | home | |||||||||||||||
Paläobotanische Methoden in der Archäologie |
||||||||||||||||
Paläobotanik ist die Wissenschaft, die sich mit fossilen Pflanzen beschäftigt (altgriechisch: palaios alt, botanç die Pflanze). Als Fossilien bezeichnet man die mehr oder weniger gut erhaltenen Überreste vorzeitlicher Organismen. Dabei ist fossil nicht immer gleichzusetzen mit ausgestorben; es gibt viele Arten mit einer langen erdgeschichtlichen Lebensdauer bis in unsere heutige Zeit. Gerade die letzteren sind für die Fragestellung dieses Artikels sehr interessant, weil sie es erlauben, Vergleiche zwischen einer vorgeschichtlichen und unserer heutigen Umwelt zu ziehen. Für die Archäologie ist im Wesentlichen nur der jüngste geologische Zeitabschnitt, das Quartär von Interesse. Nach internationaler Vereinbarung begann dieser Abschnitt vor zirka 1,8 Millionen Jahren. Auch wir leben noch im Quartär. Das besondere am Quartär ist der zyklische Wechsel von wärmeren Phasen (Warmzeiten oder Thermomere: längere Interglaziale und kürzere Interstadiale) mit kälteren (Kaltzeiten oder Kryomere: längere Glaziale und kürzere Stadiale).
Zur Aufklärung der Natur dieser geologischen Abschnitte und damit des Lebensraumes der vorzeitlichen Menschen werden neben den chemisch-physikalischen Verfahren auch Methoden aus der Paläobotanik angewandt. Durch die Paläobotanik können Pflanzenreste aus vorzeitlichen Vegetationen in ihrer artlichen Zusammensetzung bestimmt werden. Wir können mit unseren Methoden also in Erfahrung bringen, in welcher Umwelt und in welchen Landschaftsräumen frühere Menschen oder Tiere gelebt haben. Da Pflanzen für ihre Existenz in der Regel an bestimmte abiotische Faktoren gebunden sind, lassen sich aus einer bekannten Vegetations- und Florenzusammensetzung auch Rückschlüsse auf das Klima ziehen. Sowohl wildlebende als auch angebaute Pflanzen bilden in früheren Gesellschaften wie auch heute noch eine wesentliche Quelle unserer Nahrung, so dass wir auch Aussagen über die Ernährungsgrundlagen quartärzeitlicher Tiere und früher Menschen treffen können. Ein ganz anderes Feld des Einsatzes paläobotanischer Methoden liegt in der Altersbestimmung. Für die Archäologie ist dieses Thema, wie auf der Hand liegt, sehr wichtig. Dabei unterscheidet man zwischen relativer und absoluter Altersbestimmung. Bei der relativen Altersbestimmung geht es darum, eine Fundschicht im Verhältnis zu anderen Fundkomplexen in eine chronologische Reihenfolge zu bringen und sie zum Beispiel zu einer der oben genannten Warm- oder Kaltzeiten zuzuordnen. Hier kann die Paläobotanik viel leisten, da einem bestimmten geologischen Abschnitt in einer Region in der Regel auch eine bestimmte Florenzusammensetzung entspricht. Entdeckt man nun eine Fundstelle mit einer charakteristischen Flora, kann man diese mit den schon bekannten vergleichen und somit auch eine zeitliche Einordnung vornehmen. Bei der absoluten Altersbestimmung dagegen wird versucht, einer Fundstelle ein mehr oder weniger genaues Datum (beispielsweise 200 000 Jahre BP *) zuzuordnen. Mit Ausnahme der Jahresringzählung, die allerdings nur einen Abschnitt bis vor etwa 10 000 Jahren abdeckt, kann hier die Paläobotanik wenig beitragen; dies ist mehr eine Domäne der Physik.
Pollen und Sporen Die häufigsten Pflanzenreste in den Ablagerungen des Quartärs sind die Pollen (der Blütenpflanzen und Koniferen) und die Sporen (der Moose, Farne, Bärlappe und Schachtelhalme). Das Teilgebiet der Botanik, das sich mit den Pollen und Sporen beschäftigt, nennt sich Palynologie (altgriechisch: palynein ausstreuen). Dank der morphologischen Mannigfaltigkeit der Pollen und Sporen können Familien, Gattungen und zum Teil auch Arten identifiziert werden. Da die Pollen und Sporen in der Regel in großen Mengen produziert, durch die Luft verbreitet und in Sedimente unter Luftabschluss eingebettet werden, sind sie meistens sehr gut erhalten und lassen nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Bestimmungen zu. Die äußere Schicht der Sporen und Pollen besteht aus Sporopollenin, einer hochpolymeren organischen Substanz, die zu den widerstandsfähigsten im Pflanzenreich gehört. Daher rührt ihre sehr gute Beständigkeit. Die Aufbereitung der Sedimente zur Gewinnung der Sporen und Pollen erfolgt nach einem standardisierten Verfahren, bei dem die mineralischen Beimengungen der Probe durch Salzsäure und Flusssäure zerstört werden. Die Pollen und Sporen (Größe zirka 20-80 Mikrometer) können dann unter dem Mikroskop bestimmt und gezählt werden. Zur anschaulichen Darstellung dienen Pollendiagramme, bei denen auf einer Achse die untersuchten Zeitabschnitte, auf der anderen der prozentuale Anteil jeder Pflanzenart am Gesamtspektrum aufgetragen wird. Da Pollen und Sporen durch ihre Beschaffenheit auch sehr weit verbreitet werden können, spiegeln sie eher die Flora eines größeren Umkreises wieder. Das unterscheidet die Pollenanalyse von den im Folgenden zu besprechenden Methoden, die sich mehr für die Aufklärung lokaler, enger umgrenzter Floren eignen. Damit ergänzen sich die Methoden sehr gut. Früchte und Samen Früchte und Samen haben eine hohe diagnostische Wertigkeit. Durch ihren sehr spezifischen Aufbau und die Ausprägung vielfältiger Merkmale lassen sie sich in der Mehrzahl der Fälle sicher und gut bestimmen; in der Regel bis zum Artniveau. Zur Gewinnung der Früchte und Samen wird das Probenmaterial durch Schlämmen, d.h. durch Aufnehmen in Wasser und Herausspülen der ausgeschlämmten mineralischen Bestandteile, aufbereitet. Nach dem Trocknen kann das Material unter einem Stereomikroskop ausgelesen und bestimmt werden.
Blattreste Für die Diagnostik der Pflanzen spielt die Anatomie der Blattoberflächen, genauer gesagt der äußersten Zellschicht, der Epidermis, eine sehr große Rolle. Hierbei sind die Größe, die Form und die Anordnung der Zellen sowie insbesondere der Aufbau, die Anzahl und das Verteilungsmuster der Spaltöffnungen von großem Interesse. Die Zellwände der pflanzlichen Epidermiszellen sind in der Regel mit einer Schicht aus Kutin, einem hochpolymeren organischen Makromolekül überzogen. Die durch die Kutinauflagerungen entstehende Kutikula übernimmt eine zusätzliche Schutzfunktion, insbesondere gegen Austrocknung. Im Allgemeinen werden die Strukturen der Epidermis durch die Kutikula genau nachgebildet. Werden nun während der Fossilisation die Zellen zerstört, bleiben die Kutikulen, die ähnlich widerstandsfähig sind wie das Sporopollenin, erhalten und liefern uns einen Abguss der Zelloberflächen. Andere Pflanzenreste Zum Teil lassen sich aus den fossil überlieferten Blattknospen brauchbare Hinweise auf die botanische Zugehörigkeit der gefundenen Pflanzenreste entnehmen. Als Knospen definiert man kurze, noch gestauchte Achsen im Zustand relativer Wachstumsruhe, deren Achsenscheitel von schon gesetzmäßig angeordneten Blättern bzw. Blattanlagen eingehüllt sind (oft mit speziellen Knospenschuppen: Tegmente). Ganze Knospen oder einzelne Knospenschuppen lassen mit heutigen vergleichen und ihren Herkunftspflanzen zuordnen. Es können daneben auch noch weitere Fragmente gewonnen werden. Dazu gehören unter anderem Zweigstücke, verholzte Dornen, Diaphragmen (Trennungsgewebe), Borke, Korkgewebe, die sich unter Umständen genauer bestimmen lassen.
Holz Holzreste spielen sowohl für die qualitative als auch für die chronologische Bestimmung eine wichtige Rolle. Mit Hilfe der Holzanatomie lassen sich auch kleinere Holzreste sehr gut ihren Herkunftspflanzen zuordnen vorausgesetzt es sind drei Schnittebenen (quer, radial, tangential) zu erkennen. Besondere Bedeutung aber haben Holzreste für die absolute Altersdatierung mittels der Dendrochronologie [siehe dazu: Umweltpanorama Heft 4 (2004) / Anm. d. Red.]. In der Regel verläuft das sekundäre Dickenwachstum unserer heutigen Holzpflanzen in jahreszeitlichen Rhythmen. Man kann im Querschnitt deutlich weitlumiges Frühholz von englumigem Spätholz unterscheiden. Zählt man diese Jahresringe, so ergibt sich das Alter des Baumes. Nun sind diese Zuwachsringe nicht in jedem Jahr gleich, sondern abhängig von den klimatischen Bedingungen. Gleichartig sind allerdings die Jahresringe eines Alters bei verschiedenen Bäumen derselben Art in einem geographisch-klimatisch abgegrenzten Areal. Und darauf basiert das Prinzip der Dendrochronologie (altgriechisch: dendron Baum, chronos die Zeit): man kann jetzt nämlich nicht ganz gleichaltrige, sich in ihrer Lebenszeit überlappende Bäume mit ihren Jahresringen so parallelisieren, dass man durchgehende Chronologien enthält. Das setzt man dann mit dem nächsten, etwas älteren Baum fort, bis man eine durchgehende Jahreszählung erhält. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man immer entsprechende fossile Hölzer findet. Besonders eignen sich für diese Methode Kiefern und Eichern, weil sie sehr langlebig sein können. Man kommt heute auf durchgehende Chronologien von fast 9000 Jahren. Für Methoden, die sich fossilisierter pflanzlicher Überreste bedienen, also mit Mitteln der Paläobotanik arbeiten, gibt es in der Archäologie vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Die systematische Bestimmung der Pflanzenreste (Pollen, Sporen, Samen, Früchte, Blattreste, Hölzer) erlaubt dem Archäologen, Rückschlüsse auf Umwelt, Klima, Landschaft und Nahrungsgrundlagen in der Vorzeit zu ziehen. Daneben lässt sich die Dendrochronologie auch zur Datierung verwenden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Paläobotanikern und Archäologen ist also ein erfolgversprechender Weg bei der Erforschung unserer Vergangenheit. René Grube Anmerkungen *) BP: engl.: before present = vor heute (international übliche Abkürzung) |
Die Redaktion Umwelt, am 15. November 2004 | ugii Homepages |