Umweltpanorama Heft 6 (November 2004) zur Liste | home

Windkraftnutzung und Vogelschlag

Den regenerativen Energien gehört die Zukunft. Vielleicht schon die nähere Zukunft und die Windenergienutzung gehört dazu. Die Frage ist nur: wann, wie viele und an welcher Stelle wir uns Windkraftanlagen leisten können und wollen.

Wie so oft bei neuen Technologien werden die Risiken erst nach und nach bekannt. Nicht zu übersehen ist der Beitrag der Windkraftanlagen zur Landschaftsgestaltung. Das Problem des Vogelschlags an Windkraftanlagen drang dagegen bisher kaum ins öffentliche Bewusstsein.

Es ist ja auch nur schwer zu verstehen, dass Vögel in die weithin sichtbaren Windräder hineinfliegen und – wenn sie es denn tun – dann auch noch von den offensichtlich langsam drehenden Rotorenflügeln erschlagen werden sollen. Wahrscheinlich ist es der gleiche Irrtum, dem Mensch und Vogel hier unterliegen und der mittlerweile für Tausende Vögel tödlich endet: Die Rotoren drehen sich an windigen Tagen keineswegs langsam, sondern – zumindest an den Flügelenden – sogar ausgesprochen schnell. Über die Winkelgeschwindigkeit erschließt sich der Zusammenhang: Um so weiter vom Drehpunkt entfernt, desto höher die Geschwindigkeit der Rotorenflügel. An den Spitzen können das weit über 200 Kilometer pro Stunde sein.

Auf solche Geschwindigkeiten hat die Evolution selbst unsere besten Flieger nicht vorbereitet. Sogar Mauersegler, die mit zirka 180 Kilometer pro Stunde schnellsten einheimischen Vögel, wurden unter Windrädern gefunden. Rote Milane, die elegantesten und manövrierfähigsten Greifvögel Deutschlands, gehören sogar zu den Hauptopfern der Windkraftanlagen.

Dem Irrtum mit den nur scheinbar langsam drehenden Rotorblättern sind auch wir erlegen. Noch vor wenigen Jahren hätten wir nicht mit einem ernsthaften Problem des Vogelschlags an Windkraftanlagen gerechnet. Mittlerweile haben uns die Tatsachen eines besseren belehrt.

Im Sommerurlaub 2001 entdeckte ein Kollege in unserer Vogelschutzwarte in Buckow einige offensichtlich erschlagene Vögel unter holländischen Windrädern nahe der Küste. Angeregt durch diesen Hinweis fanden wir, eher unerwartet, im brandenburgischen Binnenland ebenfalls tote Vögel unter Windrädern. Seitdem wird zumindest stichprobenhaft von Ornithologen, Zivildienstleistenden und ehrenamtlichen Helfern unter Windkraftanlagen nach verunglückten Vögeln gesucht. Überraschenderweise fanden sich dabei auch erschlagene Fledermäuse. Umso genauer man suchte, desto mehr der im Gras und Gebüsch nur schwer aufzuspürenden Fledermausüberreste wurden entdeckt.

 
Rotmilan

40
  
Großer Abendsegler

115
 
Mäusebussard23Rauhautfledermaus44
Seeadler13Zwergfledermaus22
Silbermöwe11Pipistrellus spec17
Turmfalke10Zweifarbfledermaus8
Höckerschwan8Kleiner Abendsegler7
Weißstorch6Mausohr7
Weißwangengans6sonstige Fledermäuse113
Schwarzmilan6  
sonstige Nicht-Singvögel69  
sonstige Singvögel52  
Summe244Summe233

Totfunde von Vögeln und Fledermäusen unter Windkraftanlagen. Insgesamt verunglückten Vertreter von 60 Vogelarten und 10 Fledermausarten. (Zentrale Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesumweltamt Brandenburg. Stand 18. August 2004)

Die in der Tabelle dargestellten Fundzahlen von Vögeln und Fledermäusen sind zumeist Zufallsfunde oder Ergebnisse von Stichprobenkontrollen. So wurden in Brandenburg in den letzten drei Jahren bei 2059 Kontrolluntersuchungen unter 239 Windkraftanlagen 87 tote Vögel und 69 Fledermäuse gefunden. Bei einer durchschnittlichen Kontrollhäufigkeit von weniger als drei Nachsuchen pro Jahr an lediglich 239 der zirka 1700 Windkraftanlagen allein in Brandenburg lässt sich zumindest die Dimension des Problems erahnen. Überdies dürften Fuchs und andere Kleinraubsäuger bei der Suche unter Windkraftanlagen mindestens ebenso effektiv wie menschliche Beobachter sein – und dabei zumeist eher zur Stelle. Um die Dunkelziffer wenigstens ansatzweise berücksichtigen zu können, wurden tote Küken unter Windkraftanlagen ausgelegt und danach die Fundrate durch den Fuchs abgeschätzt. Ein erstes Zwischenergebnis vom letzten Sommer zeigt, dass nach einer Woche durchschnittlich 83 Prozent der teilweise gut versteckten Küken von Raubsäugern und Vögeln abgesammelt worden waren.

Flächendeckende Hochrechnungen der Gesamtverluste lassen sich aus dem vorliegenden Datenmaterial noch nicht ableiten. Erste wissenschaftlich fundierte Aussagen werden frühestens zum Jahresende vorgestellt werden können, wenn die Zwischenergebnisse einer deutschlandweiten Datensammlung vorliegen. Leider sind bundesweit nur wenige und die zumeist nur sporadisch, der 15 800 Windkraftanlagen abgesucht worden.

Die Anzahl der Anflugopfer sind an bekannten Vogelzugtrassen und in der unmittelbaren Umgebung von Müllhalden deutlich über dem Durchschnitt. Bei der weiterhin zu erwartenden starken Zunahme von Windkraftanlagen in Deutschland kommt daher einem möglichst vogelgerechten Windpark eine besondere Bedeutung zu. Andernfalls setzen wir uns dem berechtigten Vorwurf von Ignoranz gegenüber der belebten Natur zugunsten einer „grünen“ Energie aus.

Prof. Dr. Matthias Freude

Präsident Landesumweltamt Brandenburg
Staatliche Vogelschutzwarte, Buckow


     Die Redaktion Umwelt, am 15. November 2004 – ugii Homepages –