Umweltpanorama Heft 6 (November 2004) | zur Liste | home | ||||||||||||
Energie nach Maß Stromkonzerne drehen an der Preisschraube |
|||||||||||||
Nachdem am 29. April 1998 das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts in Kraft trat, ist eine Menge Bewegung in die deutsche Stromwirtschaft gekommen. Großangelegte Werbekampagnen der marktführenden Stromanbieter buhlen auf dem liberalisierten Strommarkt um Kundschaft. Im Februar startete der schwedische Stromkonzern Vattenfall die Imagekampagne Energie nach Maß. Diese diente wohl dem Ansinnen, wenige Monate später die nächste Strompreiserhöhungsrunde einzuläuten. Das Maß ist voll! dachten sich daraufhin die Berliner Verkehrsbetriebe, die nach dem Land Berlin nun ebenfalls ihren Vertrag mit der Vattenfall-Tochter Bewag nach über hundert Jahren kündigte. Die Struktur des Stromversorgungssystems in der Bundesrepublik beruhte lange Zeit auf drei Ebenen, die im Laufe der letzten 120 Jahre gewachsen sind: Stadtwerke, Regionalversorger und Verbundunternehmen. Zu den ältesten Stadtwerken gehören die 1884 gegründete Bewag und die HEW (Hamburgische Elektrizitätswerke), die 1894 die Stromversorgung für Hamburg aufbaute. Der gelieferte (Gleich) Strom diente zunächst überwiegend der städtischen Beleuchtung. Mit der Entwicklung des Wechselstroms, konnten die Transportwege erheblich ausgeweitet werden und somit auch ländliche Gebiete an das Stromnetz angeschlossen werden. Hierfür entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts Überlandzentralen, aus denen die heutigen Regionalversorger wurden. Nach dem ersten Weltkrieg wurden auf immer größer werdenden Territorien Stromleitungen verlegt, die das Land in verschiedene Verbundsysteme aufteilte. So entstand auf der Landkarte ein vertraglich geregelter Flickenteppich, der die Versorgungsgebiete klar absteckte. Durch Konzessionsverträge erteilten die Kommunen jeweils einem Elektrizitätswerk das Recht zur Nutzung und zum Aufbau der Infrastruktur. Die Unternehmen wiederum schlossen unter sich Demarkationsverträge ab, die untersagten, auf dem Gebiet des anderen tätig zu werden. Neuaufteilung des Marktes Zu den Verbundunternehmen gehörten das RWE (Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk) und VEW (Vereinigte Energiewerke Westfalen), Bayern- und Badenwerk sowie die Preußische Elektrizitäts AG. Die Regionalversorger lösten bei der Stromerzeugung zu einem großen Teil die Stadtwerke ab und wurden selbst wiederum von den Verbundunternehmen und ihren Großkraftwerken zurückgedrängt. Mit der europaweiten Öffnung des Strommarkts sind die altbekannten, territorialen Versorgungsmonopole von der Landkarte verschwunden und mit ihnen viele der traditionsbehafteten Namen. Die VEW wurden von den RWE geschluckt, die VEBA fusionierte mit der VIAG zur E.ON und zuletzt übernahm Vattenfall die Bewag und die HEW sowie die frühere DDR-Energiewirtschaft in Form der VEAG (Vereinigte Energiewerke AG) und LAUBAG (Lausitzer Braunkohle AG). Seit 2004 können Unternehmen (Privathaushalte erst ab 2007) EU-weit den Stromlieferanten frei wählen. Der gleichberechtigte Zugang zu den Versorgungsnetzen muss dann für alle Anbieter ohne Einschränkungen gewährleistet sein.
Durch die Liberalisierung entsteht nach Meinung der Befürworter aus Politik und Wirtschaft ein Wettbewerb, der die Strompreise sinken lässt. Kurzfristig mag diese Annahme zugetroffen haben. Seit 2001 steigen die Strompreise jedoch für Industriekunden aber insbesondere für die privaten Haushalte wieder an und liegen heute zum Teil über dem Niveau von vor der Liberalisierung. Im Privatkundenbereich liegen die Strompreise in Deutschland hinter Italien an der Spitze im europäischen Vergleich und der Bundesverband der Verbraucherschützer (vzbv) befürchtet laut einer Stellungnahme vom Oktober 2003, dass eine Quersubventionierung des Industriestroms über die Strompreise der Haushaltskunden stattfindet. Aber die Preisentwicklung ist lediglich einer der langfristig skeptisch zu beurteilenden Faktoren. Die verschärfte Konkurrenz unter den weltweit operierenden Strom-Multis zwingt diese zu Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerung. Damit verbunden sind Standortschließungen, mit denen Überkapazitäten abgebaut werden. Kleinere Versorger - insbesondere Stadtwerke - verschwinden vom Markt, so dass aus dem vielbeschworenen freien Wettbewerb ein Kartell erwächst, welches den Gestaltungsspielraum der Preise nach eigenem Gutdünken oder Profitinteresse variabel macht. Der deutsche Strommarkt wird heute von einem Oligopol von vier Konzernen (RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall) beherrscht, die sich weitere Konkurrenz durch überhöhte Netznutzungsentgelte vom Hals halten, wie Prof. Dr. Edda Müller vom vzbv erklärt. [---siehe auch Ihren Beitrag == http://www.ugii.net/umwelt/schriften/06-em-energiekonzepte.html--- auf Seite 8/Anm. d. Red.] Ein kalter Winter Das beste Beispiel für eine derartige Entwicklung lieferte der schlagzeilenträchtige Abgang des US-Konzerns Enron. Als im Januar 2001 in Kalifornien die Lichter ausgingen, knallten in der Chefetage von Enron die Sektkorken. Mit einem zerstörerischen Preisdiktat hatte Enron als bedeutendster Stromproduzent seine Konkurrenz vom kalifornischen Markt verdrängt. Durch das Zurückhalten von Kraftwerkskapazitäten wurden die Preise künstlich nach oben getrieben und verursachten eine Stromknappheit, die die frierende Kundschaft teuer zu stehen kam, während Konzerngewinn und Shareholder Value in die Höhe gingen. Erhöhte Preise, null Wettbewerb und im Dunkeln sitzende Kundschaft waren hier direkte Folge der Liberalisierung. Ganz abgesehen vom Ruin von Tausenden von Beschäftigten und Anlegern, die nach den aufgeflogenen Bilanzbetrügereien und der folgenden Enron-Pleite in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden und wertlose Pensionsfonds und Aktien in den Händen hielten.
Einige tausend Kilometer entfernt musste im gleichen Winter auch die Kundschaft des Stromgiganten Vattenfall frieren. Kräftige Schneestürme schnitten knapp 70 000 Haushalte in Südschweden von der Stromversorgung ab. Es dauerte mitunter mehrere Tage, um die Schäden zu beheben. Wir werden mit der Arbeit nicht fertig. Sobald wir eine Reparatur ausgeführt haben, sind schon wieder zehn neue nötig, musste Crister Jegräus, Informationschef von Vattenfall, zugestehen. Für die Gewerkschaft war dies ein Beleg für ihre Kritik an der Deregulierung des schwedischen Strommarktes. Jede dritte Stelle sei innerhalb weniger Jahre abgebaut worden und insbesondere Monteure. Dies habe natürlich Konsequenzen beim Service und vor allem für Kunden in ländlichen Gebieten, die in den Augen der Stromunternehmen nicht Gewinn bringend sind. Im September 2003 kam es abermals zu einem gewaltigen black-out in Schweden und Dänemark. Zuvor waren aber auch schon in London die Lichter ausgegangen und Ende September sorgte der Totalausfall in Italien mit zirka 57 Millionen Betroffenen für Schlagzeilen. Wenn Stromausfälle in der Zukunft nicht zur Gewohnheit werden sollen, so Manfred Wiegand von der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers, dann sind größere langfristige Investitionen unumgänglich. Diese werden indes nur getätigt, wenn die Politik das regulatorische Umfeld möglichst nach dem Geschmack der Konzerne gestaltet. Denn Kapital fließt nur dorthin, wo unter Berücksichtigung des Risikos die Aussicht auf eine angemessene Verzinsung besteht wie Wiegand richtig feststellt. Gespannt darf abgewartet werden, mit welchen Befugnissen die Regulierungsbehörde ausgestattet sein wird, die die Branche ab nächstem Jahr kontrollieren wird. Neue Kraft mit alter Energie aber ohne alte Belegschaft In Deutschland heißt die Devise laut der Unternehmensberatung AT Kearney: Wachsen, um zu überleben. Die großen Player im deutschen Strommarkt halten dementsprechend national wie international Ausschau nach Übernahmekandidaten. Vattenfall strebt die Führerschaft in Polen an, wo der Konzern bereits in Warschau und Südpolen rund 850 Millionen Euro investiert hat, die große Privatisierungswelle allerdings noch aussteht. Bei dem Warschauer Stromversorger gingen von den einstig 4220 Arbeitsplätzen über die Hälfte verloren, eine Tendenz, die für die gesamte Energiewirtschaft seit der Liberalisierung prägend ist. Für die kommenden Jahre wird der Abbau von weiteren 20 Prozent der noch existierenden Stellen prognostiziert.
Auch die vier Betriebe, die sich unter dem Dach der Vattenfall Europe zur Neuen Kraft auf dem Strommarkt formieren, mussten kräftig Federn lassen. Bei der ostdeutschen VEAG - 1991 aus den DDR-Energiekombinaten hervorgegangen - sind von einst 30 000 Beschäftigten noch etwa 5500 übrig geblieben und beim 1990 entstandenen Braunkohleförderer LAUBAG finden heute noch 5600 Menschen Arbeit gegenüber 100 000 Beschäftigten zu DDR-Zeiten. Auch die Berliner und Hamburger Stromversorger Bewag und HEW haben in den letzten Jahren Stellen gestrichen wo es ging. Um sich für den Wettbewerb zu rüsten, wurde die Belegschaft der Bewag von 14 000 auf 4400 Stellen (Konzernangabe zum 1. Januar 2004) geschrumpft und bei den HEW, die bereits 1999 von Vattenfall übernommen worden waren, sollen lediglich 3000 von derzeit rund 3600 Stellen erhalten bleiben. Abgesehen vom beschäftigungspolitischen Desaster, sind die Strom-Multis Garanten ökologischer Katastrophen und die stärkste Kraft der Atommafia. RWE Vorstandsmitglied Gert Maichel ist zugleich Präsident des Deutschen Atomforums, welches die Atomkraft als Zukunftsenergie protegiert und ausgerechnet mit Klimaschutz und Kohlendioxid-Emissionen argumentiert. Neben RWE sind im gleichen Maße auch E.ON, EnBW und Vattenfall Atomkraftbetreiber. Ökologisch äußerst bedenklich produziert Vattenfall seinen Strom in erster Linie in Braunkohlekraftwerken, die nach Meinung der kritischen Aktionärin Alexa Kessler auch bei modernster Bauweise immer eine Dreckschleuder bleiben werden. Zur Steigerung der Profite wird zudem Strom aus Osteuropa zu Dumpingpreisen eingekauft, der zum größten Teil aus Atom- und Kohlekraftwerken bezogen wird, die keinerlei Umwelt- oder Sicherheitsstandards entsprechen. Angesichts der geballten Energie dieser Konzerne wird der Atomausstieg wohl oder übel ein grüner Traum des Herrn Trittin bleiben. Denn die Konzernherren verfügen über beste Verbindungen bis in die Regierungsetagen. Das Netzwerk für das Stromnetz Um ein weitverzweigtes Stromnetz, wie das des Vattenfall-Konzerns aufzubauen, bedarf es nicht nur einer soliden Kapitalausstattung, sondern auch eines ebenso weitverzweigten Netzes von Beziehungen. Auf die Vermittlung von Kontakten in die einflussreichen Kreise der Berliner Republik haben sich einige PR-Agenturen wie Hunzinger spezialisiert. Eine weitere exklusive Adresse ist die Alte Jakobstraße 79-80 in Berlin-Kreuzberg. Seriöse Verbindungen zu führenden Persönlichkeiten in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gewerkschaften werden hier ebenso versprochen, wie ein umfassendes Netzwerk, das in einzigartiger Form auf die Lösung aller Aufgaben im Bereich Public Affairs zugeschnitten und allen Klienten zugänglich ist. Dieses Netzwerk profitiert darüber hinaus von kompetenten Persönlichkeiten aus allen wichtigen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bereichen, die der WMP EuroCom AG beratend und vermittelnd zur Seite stehen. WMP steht für Wirtschaft, Medien und Politik und die Vernetzung dieser Bereiche ist das Hauptanliegen der Gesellschaft. Die Strippenzieher von der Spree, wie sie treffend von der Springer-Postille Die Welt bezeichnet werden, sind keine Unbekannten (siehe: www.wmp-eurocom-ag.de). Nach der Privatisierung der Bewag 1997 waren Hauptanteilseigner der US-amerikanische Southern Energy-Konzern sowie Preußen Elektra und Bayernwerk. Im Verkaufsvertrag war sowohl die Sicherung von Arbeitsplätzen vorgesehen als auch die Verpflichtung für Preußen Elektra und Bayernwerk, die Aktienpakete mindesten für 20 Jahre zu halten. Schon drei Jahre später war der Vertrag zur Makulatur geworden, als nämlich die Fusion zur E.ON vollzogen werden sollte. Aus kartellrechtlichen Gründen wurde E.ON zur Auflage gemacht, sich von den ostdeutschen und Berliner Beteiligungen zu trennen, um einer Marktbeherrschung entgegenzuwirken. Sogleich zeigte die HEW/Vattenfall starkes Interesse an der Berliner Gesellschaft, stieß aber auf Widerstand beim Berliner Senat und der Southern Energy, die ihre Felle davonschwimmen sah. Jetzt schlug die Stunde des Herrn Hans Erich Bilges, Gründer der WMP und in früheren Jahren Journalist bei der Bild-Zeitung. Im Auftrag von Josefsson erinnerte sich Bilges an seinen alten Freund Eberhard Diepgen, der sich bis dahin für den US-Konzern stark gemacht hatte. Währenddessen machte Günter Rexrodt in der Welt Stimmung für Vattenfall. Und siehe da, die Front brach ein und Southern Energy - inzwischen Mirant - hatte das Nachsehen und gab seine Bewag Anteile ab. Doch nicht nur WMP kümmerte sich intensiv um den schwedischen Freund, auch der Abgeordnete Reinhard Schultz betrieb neben seinem Job im Bundestag massiv Werbung für den Vattenfall-Deal mit unter auch beim Kanzler persönlich. Heute bekleidet er zwei Aufsichtsratsmandate bei der VEAG und der LAUBAG. Hermann Werle |
Die Redaktion Umwelt, am 15. November 2004 | ugii Homepages |