Umweltpanorama Heft 4 (Mai 2004) | zur Liste | home | |||
Als das Auto noch Mangelware war, kamen die Menschen auch voran Über das Bewusstsein der modernen Automobilität |
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Den Autos und anderen motorisierten Gefährten gehört unser Land an 364 Tagen des Jahres. Nur an einem Tag wird auf die Möglichkeiten umweltfreundlicher Mobilität hingewiesen. Jener Tag findet auch dieses Jahr wieder am 3. Sonntag im Juni, also am 20. Juni 2004 statt. Landauf landab für eine menschen- und umweltverträgliche Verkehrspolitik. Und die bundesweite Aktion Mobil ohne Auto (MoA) wächst: Im vergangenen Jahr beteiligten sich rund eine halbe Millionen Menschen daran; vom Bodensee über die Müritz bis nach Hamburg wurde Mobilität neu erlebt. Den Startschuss gaben nicht die autofreien Sonntage zu Anfang der 1970er Jahre in der BRD. Jene autofreien Tage galten der Ressource Erdöl als wirtschaftliches Gut. Auch in der DDR kriselte es zu jener Zeit um die Erdölreserven, wodurch der Braunkohletagebau ins Blickfeld geriet. Der Startschuss für Mobil Ohne Auto hat seine Wurzeln in der Umweltbewegung der DDR. Entstanden, oder besser erfunden, wurde die Aktion im Jahre 1981 von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Forschungsheimes der Schloßkirche in Wittenberg. Also an jenem Ort, an dem Martin Luther 1517 seine Thesen gegen die Fehlentwicklung der Kirche veröffentlicht haben soll. Das Kirchliche Forschungsheim unter der Leitung von Pfarrer Hans-Peter Gensichen war ab den 1970er Jahren auch eine Koordinierungsstelle der kirchlichen Umweltbewegung der DDR. Begonnen hatte es mit der 1980 herausgegebenen Schrift: Die Erde ist zu retten. Für die jungen Ärzte, Naturwissenschaftler, Technologen und Theologen war der materielle Lebensstandard des Nordens einer der großen Verursacher drohender Umweltkrisen. Um jenes Gedankengut einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, suchte der Arbeitskreis nach geeigneten Maßnahmen (siehe: www. autofrei.de/docs/konferenzen/weimar/gensichen.pdf); heraus kam letztlich die Aktion Mobil ohne Auto. Aber es war nicht das Auto an sich, das gemeint war, es war nur ein Beispiel, das für die große Sache stand. Auch die Probleme mit der freien Öffentlichkeitsarbeit in der DDR wurden gelöst. Die Einladung begann mit einem A-4-Blatt, das vermittels Wachsmatrizen vervielfältigt und jedes Jahr an bekannte Personen verteilt wurde. Und der Bekanntenkreis wuchs von Jahr zu Jahr. Nach der so genannten Wende ging diese Idee auch in den Westen über, der üppig mit Automobilität ausgestattet war und um so mehr den Lebensstandard des Nordens verkörperte. Seit dem Jahre 1991 unterstützen nun engagierte Bürger, Umwelt-, Heimat- und Sportverbände und Teile der öffentlichen Verwaltung den Trägerkreis (siehe das Plakat links) auf breiter Basis, der immer noch, nicht nur traditionell, kirchliches Engagement als Rückhalt hat. Das Mobilitätsverständnis, sei es selbstverständlich oder kritisch gemeint, ist spätestens seit der Jahrtausendwende auch Gegenstand europaweiter Aktionen. Vergleichbare Initiativen in England, Frankreich und Russland unterstreichen das breite Bündnis; unter Federführung des französischen Umweltministeriums und im Rahmen eines EU-Projekts fand am 22. September 2000 das erste Mal ein europaweiter autofreier Tag statt. Aber die ursprüngliche Einladung zum Mitmachen wurde kein Selbstläufer. Die Hoffnung auf jeglichen Verzicht von Werbung entpuppte sich schon 1987 als Trugschluss. Das Mobilitätsverständnis ist nach wie vor in der Masse einseitig. So könnte, nach Hans-Peter Gensichen, der Titel dieses Aufsatzes auch lauten: Über die Fragwürdigkeit des modernen Automobilismus oder besser Autismus. Heinz Wohlgemuth
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Die Redaktion Umwelt, am 17. Mai 2004 ugii Homepages |