Umweltpanorama Heft 2 (Dezember 2003) zur Liste | home

Abfallwirtschaft zwischen Altlasten und Alternativen

Wie viele Kinder wissen, dass sie ökologische Kinderrechte haben, wenn die Mehrheit noch nicht einmal weiß, wo ihr Abfall bleibt.

Umweltprobleme sind zum Bestandteil unseres Alltags geworden. Sie betreffen unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität. Sie werden uns sowohl durch persönliche Betroffenheit als auch durch Medienberichte bewusst.

Weniger bewusst sind uns Komplexe langfristig wirkender, existentieller Faktoren, anthropogenen Ursprungs. Verdrängung der eigenen Verantwortung um der Bequemlichkeit willen ist nur eine Erklärung. Die geistesgeschichtlichen Wurzeln unserer Ignoranz liegen im „Naturbesitz“ durch den Menschen der zivilisierten Welt, in der Entgöttlichung der Natur im jüdischen und christlichen Schöpfungsbegriff und in der Aufwertung der Handarbeit des Menschen durch das Christentum samt einiger ihrer bedeutenden Philosophen und Ökonomen (Descartes, Locke, Smith).

Nach Angaben von Wirtschaftswissenschaftlern entnehmen wir in Deutschland der Natur etwa 4500 Millionen Tonnen wertlose Materialien pro Jahr, die erst durch menschliche Arbeit und die Verwendung in der menschlichen Gesellschaft ihren Wert erhalten. Würden sie diesen Wert nicht wieder verlieren und wüchse der Bedarf an solchen Werten nicht, gäbe es nur verschleißbedingten Neubedarf. Für heutige Wirtschaftsweisen ist die Voraussetzung ihrer Wertschöpfung Abfall.

Das Wort Abfall signalisiert die Funktion: Der in Etwas innewohnende Wert, entsprechend unserer Wertvorstellung, fällt ab. Das ist die Triebfeder, neue Werte herzustellen. Die der Natur entnommenen Materialien liegen im Ergebnis der Produktion und Nutzung als Abfall in so veränderter Form vor, dass sie der Natur nicht zurückgegeben werden können, ohne sie zu schädigen. Überdies sind mit der aus Produktion, Nutzung und Entsorgung von Produkten eine Vielzahl von Schäden verbunden, die sich weder im Verkaufspreis, noch in den Sicherheitsausstattungen der Firmen widerspiegeln. So sind etwa 50 Prozent der Materialentnahmen aus der Natur, also rund 2000 Millionen Tonnen pro Jahr, Bodenaushub und Abraum oder Bergmaterial. Wir dezimieren unsere Landschaften täglich um 140 Hektar zugunsten von Siedlungs- und Verkehrsflächen.

In Deutschland gab es zum Ende des Jahres 2000 etwa 365 000 erfasste Altlastenflächen, also auf jedem Quadratkilometer etwas mehr als eine. Die über 500 dazugehörigen Siedlungsabfalldeponien und weit mehr Mineralstoffdeponien nehmen sich vor diesem Hintergrund wenig wichtig aus. Jedes Jahr müssen in Deutschland 405 Millionen Tonnen Abfälle entsorgt werden. Egal ob man mechanische, thermische oder biologische Abfallbehandlung anwendet, zu Ablagerungen kommt es letztlich immer. Die Frage ist nur, was man wo, wie und für wie lange ablagert.

Die politischen und gesetzgeberischen Anstrengungen auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft wurden in den vergangenen 20 Jahren stetig intensiviert. Ab dem 1. Juni 2005 ist die Ablagerung unvorbehandelter, biologisch abbaubarer Abfälle nicht mehr zulässig. Langfristiges Politikziel ab dem Jahre 2020 ist die gänzliche Abschaffung von Ablagerungen. Wie kann das erreicht werden?

Vorschläge zur Kreislaufwirtschaft

In Politik, Wissenschaft und Wirtschaft existieren verschiedene Vorschläge für Vermeidungs-, Effektivitäts- und Effizienzstrategien, um Wege von der Abfallwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.

Deutsche Abfallwirtschaftspolitik setzt auf die, vom Verursacherprinzip abgeleitete Produktverantwortung, um in der Produktionsphase von Gütern die Voraussetzungen für eine effektive und umweltverträgliche Abfallvermeidung und -verwertung zu schaffen. Die politischen Mittel der Produktverantwortung sind Gesetze und Verordnungen sowie freiwillige Selbstverpflichtungen. Letztere sind Prämissen, im Sinne der Vorsorge-, Verursacher- und Kooperationsprinzipien der großen Konzerne, deren Umsetzung über Verbände abgewickelt wird. Beispiele wären Industrierücknahmesysteme oder Stoffstromanalysen. Fast 3000 Unternehmen haben sich in Deutschland freiwillig verpflichtet, ihre Umweltdaten systematisch zu erheben und zu veröffentlichen um eine ständige Verbesserung der Umweltauswirkungen ihres Unternehmens zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird europaweit das Öko-Audit angewendet.

Ein weiteres Instrument zur Bewertung von Umweltauswirkungen ist die Öko-Produktbilanz. Mit dem Ziel, Produkte ökologisch vergleichbar zu machen, wird deren gesamter Lebensweg analysiert und die Umweltauswirkungen in jeder Produktionsstufe aufgezeichnet. Dem Instrument der Ökobilanz steht jedoch der hohe Aufwand für die Datenerhebung entgegen und der Bewertung der Ergebnisse sind Grenzen gesetzt. Was ist schlechter: Ein Klima- oder ein Gewässerschaden? Das Verfahren ist geeignet Umwelt-Basisdaten von Wirtschaftsprozessen zu erheben.

Einige Wissenschaftler favorisieren die Dematerialisierung des Wohlstandes um den Faktor 10 und haben als Bewertungsmaß den Materialinput per Serviceeinheit entwickelt (MIPS). Dieser Ansatz lässt jedoch Gesundheitsgefahren, die auch von geringen Mengen gefährlicher Stoffe ausgehen können außer acht und hat keinen klaren Adressaten.

Gut leben, statt viel haben

Innerhalb unseres Gesellschaftssystems kollektiv organisierter Verantwortungslosigkeit, ein Verständnis für die komplexen Zusammenhänge unseres Seins und die Wirkungen unseres Handelns innerhalb des Ökosystems Erde zu entwickeln, ist aber möglich. Dazu bedarf es kritischer Auseinandersetzung und Überdenken unserer bisherigen Ziele, Wünsche und Werte. Wo ist die Kirche in diesem Prozess? Zahlreiche Umweltverbände sind engagiert, in der Diskussion mit der Regierung um eine Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands. Was gelangt von den Vorschlägen wie dem Leitbild „Gut leben, statt viel haben“ in die Öffentlichkeit? Wie viele Kinder wissen, dass sie ökologische Kinderrechte haben, wenn die Mehrheit noch nicht einmal weiß, wo ihr Abfall bleibt?

Abfall mag als Thema unangenehm sein, kann aber exemplarisch dafür stehen, dass sich die damit verbundenen Probleme eben nicht innerhalb der Abfallwirtschaft lösen lassen. Von den gesellschaftlichen Ursachen und Rahmenbedingungen losgelöste Betrachtungen führten hier bisher in die Sackgasse der „Entsorgung“. Es sind klare Anforderungen für Produkte zu formulieren, so dass sie verbraucht oder gebraucht werden können, ohne nachteilige Wirkungen für die, vom Menschen belebte und unbelebte Umwelt. Demnach sollten Schadstoffe sollten nur in geschlossenen Kreisläufen der Wirtschaft erlaubt sein. Solche klaren Aussagen werden von der Politik bisher nicht getätigt oder wieder zurück genommen wie jüngst bei der Neuregelung der Chemikalienzulassung auf europäischer Ebene. Regionale Wirtschaft sollte enger mit Wissenschaft verknüpft sein, um zu konkret anwendbaren Abfallvermeidungslösungen zu kommen. Abfallfreies Wirtschaften wird erreicht durch die Orientierung auf den Nutzen für menschliche Bedürfnisse, anstelle von Produkten. Allein mit Recyclingbörsen im Internet ist das nicht zu bewältigen.

Die Verbreitung solch anspruchsvoller Strategien wird auch nicht von unseren Massenmedien geleistet. Artikel, Berichte oder Sendungen über Umweltthemen sind selten geworden. Wenn die heutige Generation, ihren Kindern Lebensbedingungen wünscht, die nicht schlechter sein sollen, als ihre eigenen, muss sie Strategien dazu entwickeln und an die Kinder weitergeben. Das Leitbild der Nachhaltigkeit kann ohne entsprechende Strategien nicht in der Bildung umgesetzt werden. Die Idee einer abfallfreien Wirtschaft gehört ebenso in die Schule wie Öko-Audits, „Grün macht Schule“ und „Fifty/Fifty“, um zu zeigen, dass es bereits plausible Strategien zur Veränderung der bestehenden Probleme gibt. Die bisherige Allgemeinbildung ist kein ausreichendes Mittel, da sie weder mit Inhalt noch mit ihrer Form auf die drängenden Fragen der Gegenwart antwortet.

Christine Schmidt

freie Autorin
Berlin


     Die Redaktion Umwelt, am 15. Dezember 2003 – ugii Homepages –